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VII. Arbeit und Wirtschaft
Druckfassung

Überblick   |   I. Aufbau des NS-Regimes   |   II. Der NS-Staat   |   III. SS und Polizei   |   IV. Der organisierte Widerstand   |   V. Rassenpolitik   |   VI. Militär, Außenpolitik und Krieg   |   VII. Arbeit und Wirtschaft   |   VIII. Geschlechterrollen, Familie und Generationen   |   IX. Religion   |   X. Literatur, Kunst und Musik   |   XI. Propaganda und die Öffentlichkeit   |   XII. Region, Stadt und Land   |   XIII. Wissenschaft

Das Drängen nach erhöhter Produktion bedeutete, dass Deutschland sich schnell zur Vollbeschäftigung hin entwickelte. Schließlich entstand ein Arbeitskräftemangel. Die völlige Zerschlagung der unabhängigen Gewerkschaften bedeutete natürlich, dass der einzelne Arbeiter keinerlei wirtschaftliche Verhandlungsmacht aus diesen Umständen gewann. Mit Ausnahme der Fabrikarbeiter in der Sowjetunion waren sie wohl die am schlechtesten bezahlten Arbeiter in Europa. Andererseits erinnerten sich die meisten deutschen Arbeiter nur zu gut daran, wie das Leben während der Wirtschaftskrise gewesen war. Informationen über die Stimmung der Arbeiter zu sammeln, war in einem Polizeistaat alles andere als leicht, doch die Exilorganisation der SPD (Sopade) nutzte Untergrundkontakte, um die Arbeitermoral nach Regionen einzuschätzen und mit der Zeit eintretende Veränderungen zu beurteilen. Ein Sopade-Bericht über Mitteldeutschland vom September 1938 war vorsichtig optimistisch angesichts dessen, wie wenige Arbeiter zu Befürwortern des NS-Regimes geworden waren.

Die Deutsche Arbeitsfront organisierte Programme wie „Schönheit der Arbeit“, welches die Arbeitsbedingungen in den Fabriken verbessern sollte und „Kraft durch Freude“, das eine Reihe von strukturierten Freizeitaktivitäten bot (oder zumindest bieten sollte), die zuvor jenseits der finanziellen Möglichkeiten vieler Arbeiter lagen (31). Obwohl diese Bemühungen eine starke Dosis Propaganda mit sich brachten, boten sie einige Anzeichen dafür, dass die Regierung sich um die einfachen Arbeiter kümmerte. Viele Arbeiter wiederum zeigten Anerkennung für Hitlers außenpolitische Erfolge der 1930er Jahre.

Der anfängliche Kriegserfolg gab dem deutschen Militär zwar einen etwas größeren wirtschaftlichen Einfluss, er verringerte jedoch keineswegs die Schwierigkeiten der beständigen und rationalen Wirtschaftsplanung. In seinen 1973 erschienenen Memoiren beschrieb Hans Kehrl die zusammenhanglose und ineffiziente Wirtschaftsleitung im Herbst des Jahres 1940. Zu diesem Zeitpunkt war er Generalreferent für Sonderaufgaben im Reichswirtschaftsministerium, wo er für die Ausbeutung von Rohstoffen in den besetzten Gebieten verantwortlich war. Kehrl bezeugte richtig, dass das politische System, in dem es keine regelmäßigen Kabinettssitzungen gab, um die Politik zu koordinieren und Prioritätenkonflikte zu regeln, selbst ein wesentlicher Stolperstein für die wirtschaftliche Effizienz war. Die wiedergegebenen Aussagen über Hitlers Abneigung dagegen, der Zivilbevölkerung strenge Beschränkungen aufzuerlegen, sind im Allgemeinen ebenfalls zutreffend.

Die Unfähigkeit des Regimes, schwierige Entscheidungen zu treffen und auf Opfer im eigenen Land zu bestehen, erhöhte den Druck, die besetzten Gebiete und deren Bevölkerung auszubeuten. Ein Ergebnis dessen war Fritz Sauckels Programm des Arbeitseinsatzes vom 20. April 1942. Es sollte jedoch angemerkt werden, dass die Rekrutierung und Nutzung ausländischer Arbeiter innerhalb des Deutschen Reichs die NS-Ideologen störte und die Behörden beunruhigte: erstere sorgten sich um die Reinhaltung der Rasse, letztere um die Sicherheit. Schließlich erzwangen militärische Niederlagen und wirtschaftliche Notwendigkeit einen etwas pragmatischeren Ansatz. Im April 1943 gaben das Reichsministerium für Propaganda und das Reichssicherheitshauptamt nach ausführlichen Debatten zwischen beiden Stellen ein Rundschreiben über die Behandlung der im Reich tätigen ausländischen Arbeitskräfte heraus. Einerseits wandten sie sich gegen die Behandlung von Zwangsarbeitern als Untermenschen, da „dem Ziel, den Krieg siegreich zu beenden“ sich alles unterzuordnen habe; auf der anderen Seite wollte das RSHA die NS-Standards von Rassensolidarität und –identität streng aufrecht erhalten werden – ein schwieriger Kompromiss, und einer, der wenig dazu beigetragen hat, die Situation der ausländischen Arbeiter zu verbessern. Im August 1944 gab es über 7,6 Millionen Zwangsarbeiter, die auf deutschen Bauernhöfen, in Minen, Fabriken und Konzentrations- oder Arbeitslagern arbeiteten (32).



(31) Shelley Baranowski, Strength through Joy: Consumerism and Mass Tourism in the Third Reich. New York: Cambridge University Press, 2004.
(32) Vgl. Edward Homze, “Nazi Germany’s Forced Labor Program,“ in A Mosaic of Victims: Non-Jews Persecuted and Murdered by the Nazis, ed. Michael Berenbaum, New York: NYU Press, 1990, S. 38; und allgemeiner, Ulrich Herbert, Hitler’s Foreign Workers: Enforced Foreign Labor in Germany under the Third Reich. New York: Cambridge University Press, 1997 (dt.: Ulrich Herbert, Fremdarbeiter. Politik und Praxis des „Ausländer-Einsatzes in der Kriegswirtschaft des Dritten Reiches. Berlin, Bonn: Dietz, 1985).

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