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Johann Gottlieb Fichte, „Reden an die deutsche Nation” (1807/08)

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Sie sind nicht alle gestorben, sie haben die Sklaverei nicht gesehen, sie haben die Freiheit hinterlassen ihren Kindern. Ihrem beharrlichen Widerstande verdankt es die ganze neue Welt, daß sie da ist, so wie sie da ist. Wäre es den Römern gelungen, auch sie zu unterjochen, und, wie dies der Römer allenthalben that, sie als Nation auszurotten, so hätte die ganze Fortentwiklung der Menschheit eine andere, und man kann nicht glauben erfreulichere Richtung genommen. Ihnen verdanken wir, die nächsten Erben ihres Bodens, ihrer Sprache, und ihrer Gesinnung, daß wir noch Deutsche sind, daß der Strom ursprünglichen und selbstständigen Lebens uns noch trägt, ihnen verdanken wir alles, was wir seitdem als Nation gewesen sind, ihnen, falls es nicht etwa jetzo mit uns zu Ende ist, und der lezte von ihnen abgestammte Blutstropfen in unsern Adern versiegt ist, ihnen werden wir verdanken, alles, was wir noch ferner seyn werden. Ihnen verdanken selbst die übrigen, uns jezt zum Auslande gewordenen Stämme, in ihnen unsre Brüder, ihr Daseyn; als jene die ewige Roma besiegten, war noch keins aller dieser Völker vorhanden; damals wurde zugleich auch ihnen die Möglichkeit ihrer künftigen Entstehung mit erkämpft.

Diese, und alle andere in der Weltgeschichte, die ihres Sinnes waren, haben gesiegt, weil das Ewige sie begeisterte, und so siegt immer und nothwendig diese Begeisterung über den, der nicht begeistert ist. Nicht die Gewalt der Arme, noch die Tüchtigkeit der Waffen, sondern die Kraft des Gemüths ist es, welche Siege erkämpft. Wer ein begrenztes Ziel sich sezt seiner Aufopferungen, und sich nicht weiter wagen mag, als bis zu einem gewissen Punkte, der giebt den Widerstand auf, sobald die Gefahr ihm an diesen durchaus nicht aufzugebenden noch zu entbehrenden Punkt kommt. Wer gar kein Ziel sich gesezt hat, sondern alles, und das höchste, was man hienieden verlieren kann, das Leben, daran sezt, giebt den Widerstand nie auf, und siegt, so der Gegner ein begrenzteres Ziel hat, ohne Zweifel. Ein Volk, das da fähig ist, sey es auch nur in seinen höchsten Stellvertretern, und Anführern, das Gesicht aus der Geisterwelt, Selbstständigkeit, fest ins Auge zu fassen, und von der Liebe dafür ergriffen zu werden, wie unsre ältesten Vorfahren, siegt gewiß über ein solches, das nur zum Werkzeuge fremder Herrschsucht, und zu Unterjochung selbstständiger Völker gebraucht wird, wie die Römischen Heere; denn die erstern haben alles zu verlieren, die leztern bloß einiges zu gewinnen. Ueber die Denkart aber, die den Krieg als ein Glüksspiel ansieht, um zeitlichen Gewinn oder Verlust, und bei der schon, ehe sie das Spiel anfängt, fest steht, bis zu welcher Summe sie auf die Charten setzen wolle, siegt sogar eine Grille. Denken Sie sich z. B. einen Mahomet, – nicht den wirklichen der Geschichte, über welchen ich kein Urtheil zu haben bekenne, sondern den eines bekannten französischen Dichters, – der sich einmal fest in den Kopf gesezt habe, er sey eine der ungemeinen Naturen, die da berufen sind, das dunkle, das gemeine Erdenvolk zu leiten, und dem, zufolge dieser ersten Voraussetzung, alle seine Einfälle, so dürftig und so beschränkt sie auch in der That seyn mögen, dieweil es die seinigen sind, nothwendig erscheinen müssen, als große und erhabene und beseeligende Ideen, und alles, was denselben sich widersezt, als dunkles gemeines Volk, Feinde ihres eignen Wohls, übelgesinnte, und hassenswürdige; der nun, um diesen seinen Eigendünkel vor sich selbst als göttlichen Ruf zu rechtfertigen, und ganz aufgegangen in diesem Gedanken mit all seinem Leben, alles daran setzen muß, und nicht ruhen kann, bis er alles, das nicht eben so groß von ihm denken will, denn er selbst, zertreten hat, und bis aus der ganzen Mitwelt sein eigner Glaube an seine göttliche Sendung ihm zurückstrale; ich will nicht sagen, wie es ihm ergehen würde, falls wirklich ein geistiges Gesicht, das da wahr ist und klar in sich selbst, gegen ihn in die Kampfbahn träte, aber jenen beschränkten Glüksspielern gewinnt er es sicher ab, denn er sezt alles, gegen sie, die nicht alles sezen; sie treibt kein Geist, ihn aber treibt allerdings ein schwärmerischer Geist, – der seines gewaltigen und kräftigen Eigendünkels.

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