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Johann Gottlieb Fichte, „Reden an die deutsche Nation” (1807/08)

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So ist es auch bisher gewesen. Wo da wirklich regiert worden ist, wo bestanden worden sind ernsthafte Kämpfe, wo der Sieg errungen worden ist gegen gewaltigen Widerstand, da ist es jene Verheißung ewigen Lebens gewesen, die da regierte, und kämpfte, und siegte. Im Glauben an diese Verheißung kämpften die in diesen Reden früher erwähnten deutschen Protestanten. Wußten sie etwa nicht, daß auch mit dem alten Glauben Völker regiert, und in rechtlicher Ordnung zusammengehalten werden könnten, und daß man auch bei diesem Glauben seinen guten Lebensunterhalt finden könne? Warum beschlossen denn also ihre Fürsten bewafneten Widerstand, und warum leisteten ihn mit Begeisterung die Völker? – Der Himmel war es, und die ewige Seeligkeit, für welche sie willig ihr Blut vergossen. – Aber welche irdische Gewalt hätte denn auch in das innere Heiligthum ihres Gemüths eindringen, und den Glauben, der ihnen ja nun einmal aufgegangen war, und auf welchen allein sie ihrer Seeligkeit Hofnung gründeten, darin austilgen können? Also, auch ihre eigne Seeligkeit war es nicht, für die sie kämpften; dieser waren sie schon versichert: die Seeligkeit ihrer Kinder, ihrer noch ungebornen Enkel, und aller noch ungebornen Nachkommenschaft war es; auch diese sollten auferzogen werden in derselben Lehre, die ihnen als allein heilbringend erschienen war, auch diese sollten theilhaftig werden des Heiles, das für sie angebrochen war; diese Hofnung allein war es, die durch den Feind bedroht wurde, für sie, für eine Ordnung der Dinge, die lange nach ihrem Tode über ihren Gräbern blühen sollte, versprizten sie mit dieser Freudigkeit ihr Blut. Geben wir zu, daß sie sich selbst nicht ganz klar waren, daß sie in der Bezeichnung des edelsten, was in ihnen war, mit Worten sich vergriffen, und mit dem Munde ihrem Gemüthe unrecht thaten; bekennen wir gern, daß ihr Glaubensbekenntniß nicht das einige, und ausschließende Mittel war, des Himmels jenseits des Grabes theilhaftig zu werden: so ist doch dies ewig wahr, daß mehr Himmel diesseits des Grabes, ein muthigeres und fröhlicheres Emporblicken von der Erde, und eine freiere Regung des Geistes, durch ihre Aufopferung, in alles Leben der Folgezeit gekommen ist, und die Nachkommen ihrer Gegner eben so wohl, als wir selbst, ihre Nachkommen, die Früchte ihrer Mühen bis auf diesen Tag genießen.

In diesem Glauben sezten unsre ältesten gemeinsamen Vorfahren, das Stammvolk der neuen Bildung, die von den Römern Germanier genannten Deutschen, sich der herandringenden Weltherrschaft der Römer muthig entgegen. Sahen sie denn nicht vor Augen den höhern Flor der Römischen Provinzen neben sich, die feinern Genüsse in denselben, dabei Gesetze, Richterstühle, Ruthenbündel, und Beile in Ueberfluß? Waren die Römer nicht bereitwillig genug, sie an allen diesen Seegnungen Teil nehmen zu lassen? Erlebten sie nicht an mehrern ihrer eigenen Fürsten, die sich nur bedeuten ließen, daß der Krieg gegen solche Wohlthäter der Menschheit Rebellion sei, Beweise der gepriesenen Römischen Klemenz, indem sie die Nachgiebigen mit Königstiteln, mit Anführerstellen in ihren Heeren, mit Römischen Opferbinden auszierten, ihnen, wenn sie etwa von ihren Landsleuten ausgetrieben wurden, einen Zufluchtsort, und Unterhalt in ihren Pflanzstädten gaben? Hatten sie keinen Sinn für die Vorzüge Römischer Bildung, z. B. für die bessere Einrichtung ihrer Heere, in denen sogar ein Arminius das Kriegshandwerk zu erlernen nicht verschmähte? Keine von allen diesen Unwissenheiten, oder Nichtbeachtungen ist ihnen aufzurükken. Ihre Nachkommen haben sogar, sobald sie es ohne Verlust für ihre Freiheit konnten, die Bildung derselben sich angeeignet, in wie weit es ohne Verlust ihrer Eigenthümlichkeit möglich war. Wofür haben sie denn also mehrere Menschenalter hindurch gekämpft im blutigen, immer mit derselben Kraft sich wieder erneuernden Kriege? Ein Römischer Schriftsteller läßt es ihre Anführer also aussprechen: „ob ihnen denn etwas anderes übrig bleibe, als entweder die Freiheit zu behaupten, oder zu sterben, bevor sie Sklaven würden.“ Freiheit war ihnen, daß sie eben Deutsche blieben, daß sie fortführen ihre Angelegenheiten selbstständig, und ursprünglich, ihrem eignen Geiste gemäß, zu entscheiden, und diesem gleichfalls gemäß auch in ihrer Fortbildung vorwärts zu rükken, und daß sie diese Selbstständigkeit auch auf ihre Nachkommenschaft fortpflanzten: Sklaverei hießen ihnen alle jene Segnungen, die ihnen die Römer antrugen, weil sie dabei etwas anderes, denn Deutsche, weil sie halbe Römer werden müßten. Es verstehe sich von selbst, sezten sie voraus, daß jeder, ehe er dies werde, lieber sterbe, und daß ein wahrhafter Deutscher nur könne leben wollen, um eben Deutscher zu seyn, und zu bleiben, und die seinigen zu eben solchen zu bilden.

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