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Fremdenfeindlichkeit in der DDR (7. März 1989)

Obwohl die Zahl der Migranten in Ostdeutschland weitaus geringer war als im Westen, existierte die Fremdenfeindlichkeit dort mindestens ebenso stark wie im Westen, wie aus diesem anonymen Vers zu schließen ist, der sich ein bekanntes Weihnachtsgedicht zum Vorbild nimmt.

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Horst Schumann, 1. Sekretär der SED-Bezirksleitung Leipzig, erhielt ein anonymes Gedicht aus dem VEB Plasta Espenhain zugeschickt


Vom Warenhaus komm ich her,
ich muß Euch sagen, die Regale sind leer
und auf den Stufen und Kanten
sitzen die Polen mit ihren Verwandten
und draußen vor dem großen Tor
stehen die Deutschen geduldig davor.
Und wie ich so stehe am Markte umher,
da sehe ich die Leute aus der ČSSR,
sie haben gekauft, gefüllt sind die Taschen,
waren bemüht, das Letzte zu erhaschen.
Als ich dann heimfahr mit dem Busse
sitzt mir gegenüber ein Russe.
Voller Wut rannte ich in den Laden und kaufte Käse,
da steht vor mir ein Vietnamese.
Ich stolpere zur Tür hinaus ich Armer,
da steht vor mir ein Kubaner.
Komm lieber Erich sei unser Gast
und gib uns die Hälfte von dem, was du hast.
Der Pole hat Kohle, der Russe hat Licht,
wir haben die Freundschaft, mehr brauchen wir nicht.



Quelle: Anonymes Gedicht aus der VEB Plasta Espenhain an Horst Schumann, 1. Sekretär der SED-Bezirksleitung Leipzig, erhalten am 7. März 1989; abgedruckt in Henrik Eberle, Hg., Einverstanden. E.H. Parteiinterne Hausmitteilungen. Briefe, Akten und Intrigen aus der Honecker-Zeit. Berlin, 1999, S. 311-12.

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