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Aufruf des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei Deutschlands (11. Juni 1945)

In der sowjetischen Besatzungszone werden bereits am 10. Juni 1945 „antifaschistische“ Parteien und Gewerkschaften wieder zugelassen. Der Neubeginn der Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD) wird maßgeblich von einer Anfang Mai aus dem Moskauer Exil zurückgekehrten Gruppe von sowjettreuen Politikern unter der Führung Wilhelm Piecks und Walter Ulbrichts bestimmt. Ihr am 11. Juni 1945 veröffentlichter Aufruf ist bewusst moderat formuliert. Er gesteht politische Fehler in der Vergangenheit ein, wendet sich ausdrücklich gegen eine Übertragung des sowjetischen Systems auf Deutschland und propagiert die Einführung einer parlamentarischen Demokratie nach westlichem Muster. Ausgesprochen gemäßigt formuliert sind die Abschnitte zur künftigen Gestaltung des Wirtschaftssystems, die Enteignungen und Verstaatlichungen nur in ganz begrenztem Ausmaß vorsehen. Der Aufruf der KPD setzt sich von den klassenkämpferischen Parolen der zwanziger und frühen dreißiger Jahre deutlich ab und knüpft stattdessen an das Konzept der Volksfront an, das 1935 von der Komintern als breite antifaschistische Koalition proklamiert worden war. Er greift zudem die Erfahrungen der Zusammenarbeit mit NS-kritischen Offizieren im „Nationalkomitee Freies Deutschland“ während des Zweiten Weltkriegs auf.

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Schaffendes Volk in Stadt und Land!
Männer und Frauen!
Deutsche Jugend!

Wohin wir blicken, Ruinen, Schutt und Asche. Unsere Städte sind zerstört, weite, ehemals fruchtbare Gebiete verwüstet und verlassen. Die Wirtschaft ist desorganisiert und völlig gelähmt. Millionen und aber Millionen Menschenopfer hat der Krieg verschlungen, den das Hitlerregime verschuldete. Millionen wurden in tiefste Not und höchstes Elend gestoßen. Eine Katastrophe unvorstellbaren Ausmaßes ist über Deutschland hereingebrochen, und aus den Ruinen schaut das Gespenst der Obdachlosigkeit, der Seuchen, der Arbeitslosigkeit, des Hungers.

Und wer trägt daran die Schuld?

Die Schuld und Verantwortung tragen die gewissenlosen Ausbeuter und Verbrecher, die die Schuld am Kriege tragen. Es sind die Hitler und Göring, Himmler und Goebbels, die aktiven Anhänger und Helfer der Nazipartei. Es sind die Träger des reaktionären Militarismus, die Keitel, Jodl und Konsorten. Es sind die imperialistischen Auftraggeber der Nazipartei, die Herren der Großbanken und Konzerne, die Krupp und Röchling, Poensgen und Siemens.

Eindeutig ist diese Schuld. Sie wurde von den Naziführern selbst offen bekannt, als sie auf der Höhe ihrer kriegerischen Triumphe standen, als ihnen Sieg und Beute gesichert erschienen.

Euch allen, Ihr Männer und Frauen des schaffenden Volkes, Euch Soldaten und Offizieren, klingen noch die Worte in den Ohren: »Das ist für uns der Sinn des Krieges! Wir kämpfen nicht um Ideale; wir kämpfen um die ukrainischen Weizenfelder, um das kaukasische Erdöl, den Reichtum der Welt. Gesundstoßen wollen wir uns!«

Dafür wurde das nationale Dasein unseres Volkes aufs Spiel gesetzt. Der totale Krieg Hitlers – das war der ungerechteste, wildeste und verbrecherischste Raubkrieg aller Zeiten!

Das Hitlerregime hat sich als Verderben für Deutschland erwiesen: denn durch seine Politik der Aggression und der Gewalt, des Raubes und des Krieges, der Völkervernichtung hat Hitler unser eigenes Volk ins Unglück gestürzt und es vor der gesamten gesitteten Menschheit mit schwerer Schuld und Verantwortung beladen.

Ein Verbrechen war die gewaltsame Annexion Österreichs, die Zerstückelung der Tschechoslowakei. Ein Verbrechen war die Eroberung und Unterdrückung Polens, Dänemarks, Norwegens, Belgiens, Hollands und Frankreichs, Jugoslawiens und Griechenlands. Ein Verbrechen, das sich so furchtbar an uns selbst rächte, war die Coventrierung und Ausradierung englischer Städte. Das größte und verhängnisvollste Kriegsverbrechen Hitlers aber war der heimtückische, wortbrüchige Überfall auf die Sowjetunion, die nie einen Krieg mit Deutschland gewollt hat, aber seit 1917 dem deutschen Volke zahlreiche Beweise ehrlicher Freundschaft erbracht hat. Deutsche Arbeiter! Konnte es ein größeres Verbrechen als diesen Krieg gegen die Sowjetunion geben? Und ungeheuerlich sind die Greueltaten, die von den Hitlerbanditen in fremden Ländern begangen wurden. An den Händen der Hitlerdeutschen klebt das Blut von vielen, vielen Millionen gemordeter Kinder, Frauen und Greise. In den Todeslagern wurde die Menschenvernichtung Tag für Tag fabrikmäßig in Gaskammern und Verbrennungsöfen betrieben. Bei lebendigem Leibe verbrannt, bei lebendigem Leibe verscharrt, bei lebendigem Leibe in Stücke geteilt – so haben die Nazibanditen gehaust! Millionen Kriegsgefangene und nach Deutschland verschleppte ausländische Arbeiter wurden zu Tode geschunden, starben an Hunger, Kälte und Seuchen.

Die Welt ist erschüttert und zugleich von tiefstem Haß gegenüber Deutschland erfüllt angesichts dieser beispiellosen Verbrechen, dieses grauenerregenden Massenmordens, die von Hitlerdeutschland als System betrieben wurden. Wäre gleiches mit gleichem vergolten worden, deutsches Volk, was wäre mit Dir geschehen?

Aber auf der Seite der Vereinten Nationen, mit der Sowjetunion, England und den Vereinigten Staaten an der Spitze, stand die Sache der Gerechtigkeit, der Freiheit und des Fortschritts. Die Rote Armee und die Armeen ihrer Verbündeten haben durch ihre Opfer die Sache der Menschheit vor der Hitlerbarbarei gerettet. Sie haben die Hitlerarmeen zerschlagen, den Hitlerstaat zertrümmert und damit auch Dir, schaffendes deutsches Volk, Frieden und Befreiung aus den Ketten der Hitlersklaverei gebracht.

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