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Moses Mendelssohn, Antwort an Johann Caspar Lavater (1769)

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Dieses sind die Bewegungsgründe, die mir meine Religion und meine Philosophie an die Hand geben, Religionsstreitigkeiten sorgfältig zu vermeiden. Setzen Sie die häußliche Verfassung hinzu, in welcher ich unter meinen Nebenmenschen lebe; so werden Sie mich vollkommen rechtfertigen. Ich bin ein Mitglied eines unterdrückten Volks, das von dem Wohlwollen der herrschenden Nation Schutz und Schirm erflehen muß, und solchen nicht allenthalben, und nirgend ohne gewisse Einschränkungen erhält. Freyheiten, die jedem andern Menschenkinde nachgelassen werden, versagen sich meine Glaubensgenossen gerne, und sind zufrieden, wenn sie geduldet und geschützt werden. Sie müssen es der Nation, die sie unter erträglichen Bedingungen aufnimmt, für keine geringe Wohlthat anrechnen, da ihnen in manchen Staaten so gar der Aufenthalt versagt wird. Ist es doch nach den Gesetzen Ihrer Vaterstadt, Ihrem beschnittenen Freunde nicht einmal vergönnt, Sie in Zürich zu besuchen? Welche Erkentlichkeit sind meine Glaubensbrüder also nicht der herrschenden Nation schuldig, die sie in der allgemeinen Menschenliebe mit einschließt, und sie ungehindert den Allmächtigen nach ihrer Väter Weise anbeten läßt! Sie genießen in dem Staate, in welchem ich lebe, hierin die anständigste Freyheit, und ihre Mitglieder sollten sich nicht scheuen, die Religion des herrschenden Theils zu bestreiten, das heißt, ihre Beschützer von der Seite anzufallen, die tugendhaften Menschen die empfindlichste seyn muß?

Nach diesen Grundsätzen war ich entschlossen, jederzeit zu handeln, und ihnen zufolge, Religionsstreitigkeiten mit der äussersten Sorgfalt zu vermeiden, wenn nicht eine ausserordentliche Veranlassung mich nöthigen würde, meinen Vorsatz zu ändern. Privataufforderungen von verehrungswürdigen Männern, bin ich kühn genug gewesen, mit Stillschweigen zu übergehen, und die Zunöthigung kleiner Geister, die geglaubt haben, mich meiner Religion halber, öffentlich antasten zu dürfen, habe ich geglaubt verachten zu dürfen. Allein die feyerliche Beschwörung eines Lavaters nöthiget mich wenigstens, meine Gesinnungen öffentlich an den Tag zu legen, damit niemand ein zu weit getriebenes Stillschweigen für Verachtung oder Geständniß halten möge.

Ich habe die Bonnetsche von Ihnen übersetzte Schrift mit Aufmerksamkeit gelesen. Ob ich überzeugt worden sey, ist nach dem, was ich vorhin erklärt habe, wohl die Frage nicht mehr. Aber ich muß gestehen, auch in ihrer Art, als Vertheidigung der Christlichen Religion, hat sie mir den Werth nicht zu haben geschienen, den Sie darauf setzen. Ich kenne Herrn Bonnet aus andern Werken, als einen vortreflichen Schriftsteller, aber ich habe so manche Vertheidigung derselben Religion, ich will nicht sagen von Engländern, von unsern deutschen Landsleuten gelesen, die mir weit gründlicher und philosophischer geschienen, als diese Bonnetsche, die Sie mir zu meiner Bekehrung empfehlen. Wenn ich nicht irre, so sind so gar die mehresten philosophischen Hypothesen dieses Schriftstellers auf deutschem Grund und Boden gewachsen, und der Verfasser des Essai de Psychologie selbst, dem Herr B. so treulich nachfolget, hat deutschen Weltweisen beynahe alles zu verdanken. Wo es auf philosophische Grundsätze ankömmt, darf der Deutsche selten von seinen Nachbarn borgen.

Noch sind die allgemeinen Betrachtungen, die Hr. Bonnet vorausschicket, meiner Einsicht nach, der gründlichste Theil dieses Werks. Denn die Anwendung und der Gebrauch, den er davon zur Vertheidigung seiner Religion machet, hat mir so unstatthaft, so willkührlich geschienen, daß ich einen Bonnet beynahe ganz darinnen verkannt habe. Es ist mir unangenehm, daß mein Urtheil von dem Ihrigen so sehr verschieden ausfallen muß. Mir kömmt es vor, als wenn die innere Ueberzeugung des Hr. B. und ein löblicher Eifer für seine Religion den Beweisgründen Gewicht zugelegt hätte, das ein anderer nicht darinn finden kann. Seine mehresten Schlußsätze scheinen mir so wenig aus den Vordersätzen zu folgen, daß ich mich getrauen wollte, welche Religion man will, mit denselben Gründen zu vertheidigen. Dem Verfasser selbst ist dieses vielleicht nicht zur Last zu legen. Er kann nur für solche Leser geschrieben haben, die, wie er, überzeugt sind, und nur lesen, um sich in ihrem Glauben zu bestärken. Wenn Schriftsteller und Leser erst über das Resultat einig sind; so vertragen sie sich gar bald über die Gründe. Aber auf Sie, mein Herr! fällt billig meine Bewunderung, daß Sie diese Schrift für hinlänglich halten, einen Menschen zu überführen, der seinen Grundsätzen nach, vom Gegentheile eingenommen seyn muß. Sie können sich unmöglich in die Gedanken eines solchen versetzt haben, der die Ueberzeugung nicht mitbringet, sondern in diesem Werke erst suchen soll. Haben Sie aber dieses gethan, und glauben dennoch, wie Sie zu verstehen geben, daß ein Sokrates selbst die Beweisgründe des Hr. Bonnet unwiderleglich finden müsse; so ist einer von uns sicherlich ein merkwürdiges Beyspiel, von der Gewalt der Vorurtheile und der Erziehung, selbst über solche, die mit aufrichtigem Herzen die Warheit suchen.

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