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Moses Mendelssohn, Antwort an Johann Caspar Lavater (1769)

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Nach den Grundsätzen meiner Religion soll ich niemand, der nicht nach unserm Gesetze gebohren ist, zu bekehren suchen. Dieser Geist der Bekehrung, dessen Ursprung einige so gern der jüdischen Religion aufbürden möchten, ist derselben gleichwohl schnurstraks zuwider. Alle unsere Rabbinen lehren einmüthig, daß die schriftlichen und mündlichen Gesetze, in welchen unsere geoffenbarte Religion bestehet, nur für unsere Nation verbindlich seyen. Mose hat uns das Gesetz geboten, es ist ein Erbtheil der Gemeinde Jacob Alle übrigen Völker der Erde, glauben wir, seyen von Gott angewiesen worden, sich an das Gesetz der Natur und an die Religion der Patriarchen zu halten. Die ihren Lebenswandel nach den Gesetzen dieser Religion der Natur und der Vernunft einrichten, werden tugendhafte Männer von andern Nationen genennet, und diese sind Kinder der ewigen Seligkeit.

Unsere Rabbinen sind so weit von aller Bekehrungssucht entfernt, daß sie uns sogar vorschreiben, einen jeden, der sich von selbst anbietet, durch ernsthafte Gegenvorstellungen von seinem Vorsatze abzuführen. Wir sollen ihm zu bedenken geben, daß er sich durch diesen Schritt, ohne Noth, einer sehr beschwehrlichen Last unterziehe, daß er in seinem jetzigen Zustande nur die Pflichten der Noachiden zu beobachten habe, um selig zu werden; so bald er aber die Religion der Israeliten annehme; so unterzöge er sich freywillig allen strengen Gesetzen dieses Glaubens, und alsdenn müsse er sie beobachten, oder der Strafen gewärtig seyn, die der Gesetzgeber mit derselben Uebertretung verbunden hat. Endlich sollen wir ihm auch das Elend, die Bedrängniß, und die Verachtung getreulich vorstellen, in welcher die Nation gegenwärtig lebet, um ihn von einem vielleicht übereilten Schritte abzuhalten, den er in Folge bedauern könnte.

Die Religion meiner Väter will also nicht ausgebreitet seyn. Wir sollen nicht Mißionen nach beiden Indien oder nach Grönland senden, um diesen entfernten Völkern unsere Religion zu predigen. Das letztere insbesondere, das nach den Beschreibungen, die man von ihm hat, das Gesetz der Natur, leider! besser beobachtet, als wir, ist, nach unsern Religionslehren, ein beneidenswerthes Volk. Wer nach unserm Gesetze nicht gebohren ist, darf auch nicht nach unserm Gesetze leben. Uns allein halten wir für verbunden, diese Gesetze zu beobachten, und dieses kann unsern Nebenmenschen kein Aergernis geben. Man findet unsere Meinungen ungereimt? Es ist unnöthig, darüber Streit zu erregen. Wir handeln nach unserer Ueberzeugung, und andere mögen die Gültigkeit der Gesetze immer in Zweifel ziehen, die ihnen, nach unserm eigenen Geständnisse, nicht obliegen. Ob jene billig, verträglich, menschenfreundlich handeln, daß sie unsere Gesetze und Gebräuche so sehr verspotten, können wir ihrem eigenen Gewissen anheimstellen. So bald wir andere von unserer Meinung nicht überführen wollen; so ist das Streiten unnütz.

Wenn unter meinen Zeitgenossen ein Confucius oder Solon lebte; so könnte ich, nach den Grundsätzen meiner Religion, den großen Mann lieben und bewundern, ohne auf den lächerlichen Gedanken zu kommen, einen Confucius oder Solon bekehren zu wollen. Bekehren? wozu? Da er nicht zu der Gemeine Jacobs gehöret; so verbinden ihn meine Religionsgesetze nicht, und über die Lehren wollten wir uns bald einverstehen. Ob ich glaubte, daß er seelig werden könnte? — O! mich dünkt, wer in diesem Leben die Menschen zur Tugend anführet, kann in jenem nicht verdammt werden, und ich habe kein ehrwürdiges Collegium zu fürchten, das mich dieser Meinung halber, wie die Sorbonne den rechtschaffenen Marmontel, in Anspruch nehmen könnte.

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