GHDI logo

Der Harrison-Bericht (September 1945)

Seite 5 von 7    Druckfassung    zurück zur Liste vorheriges Dokument      nächstes Dokument


(c) Die Vereinigten Staaten sollten den bestehenden Einwanderungsgesetzen entsprechend einer vertretbaren Zahl solcher Personen erlauben, hierher zu kommen, wiederum besonders denjenigen, die Familienbande mit diesem Land verbinden. Wie bereits erwähnt, ist die Zahl derjenigen, die in die Vereinigten Staaten auszuwandern wünschen, nicht groß.

Wenn Großbritannien und die Vereinigten Staaten diese erwähnten Maßnahmen ergreifen würden, könnte es sein, dass andere Länder ebenfalls bereit wären, ihre Türen vernünftigerweise aus solchen humanitären Erwägungen geöffnet zu halten und auf praktische Weise ihr Missfallen an der Politik der Nazis zum Ausdruck zu bringen, die unglücklicherweise so viel von Europa vergiftet hat.

3. Sollte eine solche Auswanderung aus Deutschland und Österreich verzögert werden, muss eine sofortige Zwischenlösung gefunden werden. In jedem Fall wird es eine beträchtliche Anzahl unter den verfolgten Personen geben, die physisch nicht in der Lage oder aus anderen Gründen im Augenblick nicht bereit zur Emigration sind.

Diesbezüglich ist mir sehr daran gelegen, dass größere und umfangreichere Anstrengungen unternommen werden, sie aus den Lagern zu holen, denn sie sind das Lagerleben leid. In erster Linie besteht echter Bedarf an spezialisierten Einrichtungen wie (a) Tuberkulose-Sanatorien und (b) Pflegeheimen für diejenigen, die psychisch krank sind oder die einer Phase der Wiederanpassung bedürfen, bevor sie wieder in der Allgemeinheit leben können – wo auch immer. Einige werden zumindest kurzer Ausbildungs- oder Umschulungszeiten bedürfen, bevor sie wirklich nützliche Staatsbürger sein können.

Aber um es noch einmal allgemeiner zu formulieren: Hier bietet sich eine Gelegenheit, den Grundsätzen, die in Potsdam verabschiedet wurden, reale Bedeutung zu verleihen. Sollte es zutreffen, was weitverbreitete Auffassung zu sein scheint, dass das deutsche Volk im Allgemeinen bezüglich des Krieges und seiner Ursachen und Folgen keinerlei Schuldgefühl hat, und wenn die Politik sein soll, „das deutsche Volk davon zu überzeugen, dass es eine totale militärische Niederlage erlitten hat und dass es der Verantwortung für das, was es selbst über sich gebracht hat, nicht entgehen kann“, dann fällt es schwer zu verstehen, warum so viele Displaced Persons, besonders solche, die so lange verfolgt wurden und deren Repatriierung oder Umsiedlung voraussichtlich verzögert werden wird, dazu genötigt sein sollten, in primitiven, überfüllten Lagern zu leben, während die deutsche Bevölkerung in den ländlichen Gebieten weiter ungestört in ihren Häusern wohnt.

Nach dem jetzigen Stand der Dinge wirkt es so, als behandelten wir die Juden genauso, wie die Nazis sie behandelt haben, außer, dass wir sie nicht vernichten. Sie befinden sich in großer Zahl in Konzentrationslagern unter unserer militärischen Bewachung statt unter der der SS-Truppen. Man ist geneigt, sich die Frage zu stellen, ob das deutsche Volk angesichts dieses Zustands nicht annimmt, wir würden die Politik der Nazis fortführen oder zumindest billigen.

Es kommt dem Betrachter weitaus gerechter vor und so wie es sein sollte, wenn er die wenigen Orte in Augenschein nimmt, wo furchtlose und entschiedene Militärs entweder ein ganzes Dorf zugunsten der Displaced Persons beschlagnahmt und die deutsche Bevölkerung gezwungen haben, sich ihre eigene Unterkunft zu suchen, oder von der lokalen Bevölkerung verlangt haben, eine vertretbare Anzahl von ihnen zu beherbergen. Auf diese Weise leben die Displaced Persons, einschließlich der Verfolgten, mehr wie normale Leute und weniger wie Gefangene oder Kriminelle oder wie eingepferchte Schafe. Die meisten unter ihnen, mit Sicherheit jedoch die Juden, befinden sich nicht durch eigene Schuld oder auf eigenen Wunsch in Deutschland. Diese Tatsache wird auf diese Art und Weise der deutschen Bevölkerung vor Augen geführt wird, allerdings wird das in zu geringem Ausmaß getan.

An vielen Orten lassen jedoch die Angehörigen der Militärregierung äußersten Unwillen oder Abneigung, wenn nicht sogar Scheu erkennen, die deutsche Bevölkerung zu belästigen. Sie sagen sogar, ihr Auftrag sei es, die Gemeinschaften wieder richtig und gründlich ans Arbeiten zu bekommen und dass sie „mit den Deutschen leben müssen, während die DPs (Displaced Persons) ein eher vorübergehendes Problem seien“. So kann es geschehen (und ich bin gerne bereit, Beispiele zu nennen), dass, wenn einer Gruppe Juden befohlen wird, ihr behelfsmäßiges Quartier zu räumen, das für militärische Zwecke benötigt wird, und es gibt zwei mögliche Ausweichquartiere, das eine ein Wohnblock (bescheidene Wohnungen) mit sanitären Anlagen und das andere eine Reihe von schäbigen Gebäuden mit Außentoiletten und Waschmöglichkeiten, es dem Bürgermeister ohne Weiteres gelingt, den Stadtkommandanten zu überzeugen, letztere den Displaced Persons zuzuweisen und erstere für die zurückkehrenden deutschen Zivilisten zurückzuhalten.

Diese Tendenz macht sich auch auf andere Weise bemerkbar, und zwar in der Beschäftigung deutscher Zivilisten in den Büros der Angehörigen der Militärregierung, wo man doch unter den Displaced Persons, deren Repatriierung nicht unmittelbar bevorsteht, ohne Probleme gleichermaßen qualifiziertes Personal finden könnte. In der Tat hat es Situationen gegeben, in denen Displaced Persons, besonders Juden, Schwierigkeiten hatten, Termine bei den Behörden der Militärregierung zu bekommen, weil sie ironischerweise gezwungen waren, sich zunächst an die deutschen Angestellten zu wenden, was die Sache nicht einfacher machte.

erste Seite < vorherige Seite   |   nächste Seite > letzte Seite