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Johanna Trosiener, Tochter eines Kaufmanns aus Danzig und spätere Mutter des Philosophen Arthur Schopenhauer und der Schriftstellerin Luise Adelaide Lavinia Schopenhauer, sinniert über ihre Kindheit und Jugend in den 1770er Jahren (Rückblick)

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[ . . . ] Ich hatte das neunte Jahr erreicht, ich bedurfte anhaltender Beschäftigung und hatte noch vieles zu lernen, so trefflichen Händen ich auch anvertraut war, was weder meine Mutter, noch Jameson noch Kuschel mich lehren konnten.

[ . . . ]

Pensionsanstalten gab es damals bei uns nicht, und konnte keine geben; ja ich glaube sogar, daß man kaum einen eigentlichen Begriff von dem Wesen einer solchen Treibhausanstalt hatte. Von seinem Kinde sich trennen, um es in einem fremden Hause von Fremden erziehen zu lassen, war damals den Müttern noch ein Undenkbares; [ . . . ]

Gegen den Vorschlag, eine Gouvernante anzunehmen, hatte meine sonst immer zum Nachgeben geneigte Mutter sich gleich auf eine Weise erklärt, die deutlich bezeigte, wie wenig sie Willens sei, sowohl in der Liebe als in der Leitung ihrer Kinder mit einer Fremden zu theilen: Lernen mögen sie von Andern, denn ich weiß zu wenig ihnen zu lehren, doch erziehen soll Niemand sie als ich, hatte sie meinem Vater erwiedert, was er später, wenn wir irgend eine Unart uns zu Schulden kommen ließen, ihr zuweilen vorhielt.

Und wäre sie auch andrer Meinung gewesen, eine Gouvernante finden, wie mein Vater sie wollte, wäre immer ein schwer zu erfüllender Wunsch geblieben [ . . . ]

Doch der Zufall [ . . . ] begünstigte [ . . . ] die Wünsche meines Vaters für das Wohl seiner Kinder; plötzlich und unverhofft führte er die Erfüllung derselben ihm zu, und zwar aus einer Stadt, aus welcher man es nimmer erwartet hätte, aus Stockholm.

Eine schöne schwedische Prinzessin [ . . . ]hatte gerade in jener Zeit ihre letzten Kinderschuhe ausgetreten. [ . . . ] eine französische Untergouvernante, welche viele Jahre lang in der nächsten Umgebung der Prinzessin gelebt hatte, ließ von dem sehr bescheidnen Zuge ihres Herzens nach der ihr ganz unbekannten Stadt Danzig sich führen, [ . . . ]

Auch war dieses fast bis zum Uebermaße geschehen; Jameson, Kuschel, der Tanzmeister und eine gute alte Frau, die im feine Wäschenähen und Stopfen mich zu unterrichten kam, nahmen bis Mittag meine Morgenstunden in Anspruch, um zwei Uhr Nachmittags wurde ich zur Mamsell Ackermann gebracht, bei der wir bis sieben Uhr verweilten, und bei meiner Zuhausekunft fand ich oft noch meinen freundlichen Jameson auf mich wartend, bei dem ich denn noch das letzte Abendstündchen vor dem Nachtessen recht vergnügt zubrachte.

Kaum hatte meine neue Lehrerin sich einige Monate mit mir beschäftigt, als ich schon anfing, zu aller Welt Erstaunen, so fertig französisch zu plaudern, als hätte ich zeitlebens nichts anderes gethan; bei meiner frühen, mit Hülfe meines Vaters fortgesetzten, wenngleich sehr unvollkommenen Bekanntschaft mit dieser Sprache war dieses aber nichts Außerordentliches, doch das bedachte Niemand. Mamsell Ackermann wurde durch mich kleinen Papagaien bald so bekannt und berühmt, daß sie in Kurzem unter den heranwachsenden Töchtern der bedeutendsten Danziger Familien die Wahl hatte. In weit weniger als Jahresfrist war die Zahl ihrer Zöglinge vollständig, deren nie mehr als zwölf anzunehmen sie meinem Vater versprochen, was sie auch immer redlich gehalten. Auch hatte sie, in der That, mit uns vollauf zu thun.

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