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Johanna Trosiener, Tochter eines Kaufmanns aus Danzig und spätere Mutter des Philosophen Arthur Schopenhauer und der Schriftstellerin Luise Adelaide Lavinia Schopenhauer, sinniert über ihre Kindheit und Jugend in den 1770er Jahren (Rückblick)

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Erziehungsinstitute kannte man bei uns damals unter diesem Namen noch nicht; ein Ort, wo Kinder zum Unterricht hingeschickt wurden, hieß schlechtweg eine Schule, aber die Exgouvernante einer schwedischen Prinzessin schauderte vor dem plebejen Worte ängstlich zurück. Eine Schule! Quelle horreur! quelle platitude! Eine Societé des jeunes dames war es, die sie fünfmal in der Woche Nachmittags bei sich empfing. Sie war die gutmüthigste Seele, aber dem Unglücklichen, der sich erkühnt hätte, ihren Namen mit jenem erniedrigenden Ausdruck in Verbindung zu bringen, hätte sie weder im Leben noch im Tode verziehen.

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Natürlicher Weise mußte auch unser Betragen nach diesen Umgebungen gemodelt werden; auch nicht der kleinste Verstoß gegen konvenzionellen Anstand und gesellige Sitte wurde, ohne auf der Stelle gerügt zu werden, uns durchgelassen. Ungeschicktes Auftreten, ein schwerfälliger Gang, Thürenwerfen, überhaupt unnöthiges Geräusch, zogen lange Strafpredigten nach sich, die eine sehr harte Strafe uns dünkten, weil sie die gräßlichste Langeweile uns erregten. Auch der damals beim Eintritt ins Zimmer noch üblige Knicks an der Thür durfte nicht unterlassen werden; wer ihn vergaß, mußte ihn auf der Stelle nachholen, wer in der Eile ihn nachlässig hinschleuderte, mußte ihn nochmals so lange einüben, bis es gelang, ihn graziöser auszuführen.

Leicht obenhin betrachtet, sieht das Alles zwar ungemein lächerlich aus, wird aber weniger so erscheinen, wenn man einige sechzig Jahre sich zurück zu versetzen im Stande ist; zwar heißt es: andre Zeiten, andre Sitten, doch nur die Form ändert sich, der Grund aber bleibt. Frühe Gewöhnung an das, was Anstand und gesellschaftliche Konvenienz von uns verlangen, so daß wir uns durch sie weder gefesselt noch verlegen fühlen, weder aus linkischer Blödigkeit verstummen, noch in jene zu warme Zutraulichkeit verfallen, die anfangs als köstliche Naivetät bewundert, dann als zu täppische Dreistigkeit verspottet wird, ist jetzt wie damals beim Eintritt in die frisch erblühende Rosenzeit des Frühlingslebens ein großer Gewinn. Auch in späterer Zeit kommt der ernsteren Hausfrau eine gewandte Sicherheit des Betragens im häuslichen wie im geselligen Verhältniß wohl zu Statten, und hilft ihr über ihrem eignen, wie über dem Leben der Ihrigen einen Hauch von Ruhe und Anmuth zu verbreiten, der sich empfinden, doch nicht analysiren läßt.

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Schriftlich oder mündlich aus dem Französischen ins Deutsche, oder auch umgekehrt, übersetzen, Leseübungen auswendig lernen, Hersagen des Gelernten nahm die ersten Stunden in Anspruch; bis die Reihe an sie kam, ihre Lektion herzusagen, beschäftigte jede von uns sich still vor sich mit der ihr zugetheilten Aufgabe, und dieser Wechsel unsrer Arbeiten erhielt uns in stets reger Aufmerksamkeit. Aufgaben zu Hause auszuarbeiten wurden uns nie zugetheilt. Uebung im Schönschreiben, und wenn noch etwas Zeit dazu übrig war, etwas Geographie, brachten gegen fünf Uhr die Theestunde herbei, und wie durch einen Zauberspruch waren wir nun aus Schülerinnen in eine wirkliche Societé des jeunes dames umgewandelt.

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