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Die Kindheit eines Jungens in Köln um 1810 (Rückblick)

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Gegen das Impfen der Schutzblattern haben viele Kölner noch ein Vorurtheil, weßhalb auch noch immer blatternarbige Gesichter, »usjestoche Bildcher«, aus jener Periode, von der wir reden, vorkommen. Bei gewöhnlichen Krankheiten müssen Hausmittel helfen, Simpeln, wie der Kölner sagt. Der geringere Bürger nimmt nur im äußersten Nothfalle seine Zuflucht zum Arzte und besonders bei Kindern. Bei Kinderkrämpfen, der »Bejofung«, sucht man sich wohl noch durch Ueberlesen, d. h. kirchliches Einsegnen der Kinder zu helfen. Der Aberglaube war, trotz der Franzosen, noch lange nicht gebannt. Wie viel wurde uns vom Behexen der Kinder erzählt, wie sich die Federn in den Bettchen zu Kränzchen bildeten durch der Hexen Gewalt, was die Bejofung der Kinder zur Folge hatte. Wie streng wurde es uns Kindern anempfohlen, uns nur ja nicht von fremden Frauen berühren zu lassen, nichts von denselben anzunehmen, das Kreuz zu schlagen, wenn uns eine Alte anredete oder freundlich zulächelte.

Mit dem Augenblicke, wo der Kölner anfing, von den eigenen Füßen Gebrauch machen zu wollen, wurde er in den Laufkorb gesteckt, in das Gängelband geschnürt, und sein Kopf mit einem mächtigen, pfundschweren Fallhute, dem kölnischen »Butzekop« aus Sammt oder Plüsch bewaffnet, welcher in manchen Familien schon, wer weiß, wie vielen Generationen, zum Schutz und Schirm der Köpfe gedient hatte. [ . . . ]

Starb ein Kind, wurde es, das Köpfchen mit dem Todtenkränzlein geschmückt, das Todtenhemdchen mit bunten Papier- und Klappergold-Schnitzeln bestreut, den Kleinen zur Schau ausgestellt. Ein Fest für die Kinder der Nachbarschaft, denn bei einer solchen Todtenschau fehlte nie das Stück Lebkuchen oder das Zuckerherzchen, uns Kindern noch wahre Leckerbissen. [ . . . ]

Auch die Leichen von vornehmen Personen, besonders von den Pfarrgeistlichen, wurden ein paar Tage auf dem Paradebett ausgestellt, ein vielbesuchtes Schauspiel für Jung und Alt, dabei eine reiche Aernte für die Bettler.

Das Erste, welches ein Kind gelehrt wurde, konnte es einige Worte lallen, war das Kreuz machen. Dann folgte das Vater unser, das Glaubensbekenntniß und die gemüthvollen Kindergebete, [ . . . ]

Wurde auch in dem Kleinkinderzeug, das sich übrigens mehrere Geschlechter hindurch forterbte, in den reicheren Classen ein gewisser däftiger Luxus getrieben, so aber nicht in der Kinderkleidung der ersten Jahre. Die gewöhnliche Tracht für Knaben und Mädchen war bis zum fünften, sechsten Jahre der so genannte wollen gestrickte »Jussep« [d. i. Unterrock, Wams], der auch wohl jedes Jahr um ein Stück länger gestrickt ward. Im Hause trugen wir Kinder den »Pungl« [d. i. Schlafrock], der, da er vor Schlafengehen angezogen wurde, uns gar oft ein wahrer Gräuel war, denn selbst im Sommer mußten wir mit den Hühnern schlafen gehen. Und auf diese Gesetze wurde mit exemtorischer Strenge geachtet. Unbeschreiblich ist die Freude, durfte man bei festlichen Gelegenheiten länger aufbleiben, auch wohl eine Belohnung für gute Führung. Eine solche Ausnahme wird mit einem gewissen Stolze den Cameraden erzählt, erregt nicht selten Neid und Mißgunst unter den Gespielen.

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