GHDI logo

Die Kindheit eines Jungens in Köln um 1810 (Rückblick)

Seite 5 von 8    Druckfassung    zurück zur Liste vorheriges Dokument      nächstes Dokument


Ein wichtiger Lebensmoment war für den Knaben die erste Hose, kölnisch »Boz«. Hose und Wamms an einem Stück, von hinten zugeknöpft, dabei Schuhe mit Riemen auf dem Fuße zusammengebunden oder festgeknöpft. Da Taschentücher bei den Knaben ein seltener Luxusartikel, war der rechte Aermel des Wamms gewöhnlich lackirt, weil er die Stelle des Taschentuches vertrat. Wurde ein Taschentuch gegeben, nähte es die vorsichtige Mutter fest an die Tasche, oder es wurde an dieselbe festgeknüpft. An der Hose des Knaben fehlt nie das Hubertus-Riemchen, welches der Volksglaube als Schutzmittel gegen wüthende Hunde betrachtet. Amulette als Scapuliere, unter dem Namen »Teufelsgeistcher«, kamen auch noch vor, besonders wenn eine Nonne in der Familie oder in der Freundschaft.

Schulzwang kannte man nicht. Bei den geringeren Bürgerclassen war von Schulbesuch keine Rede; der Mittelstand schickte seine Kinder zur Schule. Der Schreck der Kinder. Die meisten Elementar-Schullocale waren düstere, dumpfe Höhlen, in die nicht Sonne noch Mond schienen. Die älteste Domschule z. B. war an der Nordwestseite des Domes zwischen die Pfeiler des Baues eingezwängt. Die Schulen durfte man als wahre Folterkammern der Jugend bezeichnen, in denen vom Morgen bis zum Abende die Haselruthe, das Lineal, das Engkge Tau’s, der Ochsenziemer regiert, oder im Schulzimmer herumfliegt, um die Lässigen und Plauderer zu mahnen oder aufzufordern, herauszutreten, um sich systematisch durchbläuen zu lassen. Und wie erfinderisch waren manche der Schultyrannen in ihren Strafen, so unter den zahllosen Strafweisen, das Schlagen auf die Fingerspitzen, »Pütjer halden«, oder auf die flache Hand, das »auf Erbsen knieen« und ähnliche pädagogische Erfindungen, wie Eselsohren, rothe Zungen u. s. w. Das spärliche Wissen wurde regelrecht eingebläut. Nichts natürlicher, als daß die Kinder mit Schreck und Graus an die Schule denken, besonders die Knaben jede Gelegenheit wahrnehmen, an der Schule vorbei, »blänke« zu gehen. Selten geht ein Morgen vorbei, ohne daß ihr in den zu den Schulen führenden Straßen nicht auf aus Leibeskräften brüllende Knaben stoßt, welche von einem Dienstboten oder selbst vom Vater oder der Mutter mit Gewalt nach der Schule spedirt werden, auch wohl mit umgehängten Betttuche, wenn dem Kleinen in der Nacht ein Unglück widerfahren war.

Des Wissens erste Quelle ist das »Täfelchen«, auf welches das große und kleine A B C gedruckt aufgeklebt, und das der hoffnungsvolle Kölner an einer Kordel am Halse trägt. Hat er es in Jahresfrist dahin gebracht, die Buchstaben zu kennen und »Ba, be, bi, bo, bu« buchstabiren zu können, bekommt er die Fibel. Welch’ ein Stolz, war dieselbe in recht buntes, oder gar golden Papier gebunden. Die einzelnen Buchstaben sind durch Bildchen und Knittelreime dargestellt und den Schluß macht ein Holzschnitt, den ich oft bewundert, das Jesukindlein mit einem Kreuz, auf einem großen Hahne reitend, hinter welchen ein Nest mit Eiern zu schauen, und der im Munde die Legende führt: »Lernt fleißig!« Wie weit die Naivetät jener Zeit, ihre Unschuld ging, mag man daraus ersehen, daß bei dem Buchstaben X zu lesen:

erste Seite < vorherige Seite   |   nächste Seite > letzte Seite