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Franz Rehbein, Landarbeiter (um 1890)

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Bald klangen die Sichten im Korn, die Halme fielen. Mit meinem Schwager war ich gemeinsam beim Hauen tätig, meine Frau band hinter uns beiden die Garben. Soweit das Auge reichte, überall dasselbe Bild: Kornfeld an Kornfeld, und darauf in emsiger Tätigkeit Männer, Frauen und Kinder; die Männer nur in Hemd und Hose, die Frauen hochgeschürzt, den schattenden Sonnenhut in den Nacken gedrückt. Alles rührt fleißig die Hände, denn aus der Erntearbeit soll der Hauptverdienst des ganzen Jahres kommen. Reift das Korn schnell nacheinander, so erreicht der Hauerlohn eine annehmbare Höhe, mitunter bis zu 20 und 25 Mark für den Dithmarscher Morgen. Der Binderlohn beträgt die Hälfte, da ein Binder so viel aufbinden und in Hocken setzen soll, wie zwei Hauer abhauen. Da auf den Hauer durchschnittlich zwei bis zweieinhalb Morgen, und auf den Binder das Doppelte dieser Morgenzahl pro Woche gerechnet werden, so können es Mann und Frau in der Erntezeit unter Umständen tatsächlich auf ein paar Hundert Mark Verdienst bringen, zumal unter dem Druck der Akkordarbeit. Reifen die verschiedenen Kornarten aber langsam hintereinander, so daß hinter der einzelnen Frucht noch womöglich Tage des Aussetzens zu erwarten sind, so gibt es nicht selten nur 16, 14, ja selbst nur 12 Mark Hauerlohn pro Morgen und die Hälfte fürs Binden. Trotz äußerster Anspannung der Arbeitskraft ist es dann nicht möglich, einen nennenswerten Extragroschen zusammenzubringen, und manche Tagelöhnerfamilie sieht schon von da an dem kommenden Winter mit vermehrter Sorge entgegen. Daher deucht einem die Erntezeit auch immer viel zu kurz; kaum daß sie begonnen, ist sie auch schon wieder zu Ende. Solange die Ernte aber währt, kennt der Tagelöhner nur einen Grundsatz: schaffen, schuften und schinden. Hier wird das Wort zur Wirklichkeit: Akkordarbeit ist Mordarbeit! Die Selbstantreiberei geht dann so weit, daß man dem Tag nicht 24, sondern am liebsten 48 Stunden lang wünschen möchte.

Schon um 3 Uhr morgens ging ich von zu Hause fort; nach einem halbstündigen Fußmarsch war ich auf dem Felde. Etwa um 6 Uhr wurde das erste Frühstück gegessen, das meine Frau inzwischen nachgebracht hatte. Wir arbeiteten nämlich auf eigene Kost, wie dies die meisten Tagelöhner tun, die ihre Angehörigen zur Arbeit mitnehmen. Es gibt dann auf den Morgen Acker ein paar Mark mehr, und da für die Familie doch sowieso gekocht werden muß, so nimmt man als verheirateter Mann schon lieber das Bargeld als die Kost vom Bauern.

Ist es gutes Wetter, so schafft die Arbeit. Zwar bis gegen 8 oder 9 Uhr vormittags sind dem Hauer fast regelmäßig die Knie vom Tau durchnäßt; dann aber geht es flotter weg. Ungleich schlimmer aber ist der Binder daran, denn die tauigen Garben durchnässen ihm beim Zusammenschnüren die Kleider auf der ganzen Vorderseite. Besonders leiden beim Binden die Hände; in der Taunässe werden sie weich und empfindlich, sie sehen aus wie die Hände einer Waschfrau, die den ganzen Tag im Wasser kladdern muß. Die Nägel arbeiten sich dann ab und verursachen Schmerz, und die Fingerspitzen werden »durchgegriffen«; oftmals verletzt man sich die Hände an den scharfen Stoppeln oder schneidet sich an flachgedrückten Halmen die Finger entzwei. Sobald der Tau aber abgetrocknet ist, werden die Disteln »krall«, und je höher die Sonne steigt, desto schärfer stechen sie. In den ersten Tagen brennen dem Binder die Hände oft dermaßen, daß er sie kaum zu lassen weiß, erst hernach wenn sie ganz voller Disteln und kleiner Stoppelwunden sitzen, stumpft sich das Gefühl mehr und mehr ab. Wie manchesmal habe ich da im Stillen meine Frau bedauert. Doch was half’s; auf dem Lande darf man nicht empfindlich sein, sonst verdient man nichts, und – die Erntewochen müssen wahrgenommen werden.

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