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Friedrich Overbeck, Italia und Germania (1811-28)

Im Jahr 1810, etwa zur gleichen Zeit, als Friedrich Overbeck (1789-1869) ein Portrait seines engen Freundes und gleichfalls Nazareners Franz Pforr (1788-1812) malte, begannen die beiden Künstler ein gemeinsames Werk, in dem sich die Stränge ihrer persönlichen Beziehung zu einem komplexen Geflecht aus Romantischer Fabel, Allegorie und ästhetischem Manifest verweben sollten. Jeder der beiden würde ein Bild malen, das sowohl ihre gemeinsamen eigenen künstlerischen Ideale als auch die Freundschaft zu dem anderen verkörperte. Pforr vollendete sein Gemälde, ein Diptychon in mittelalterlichem Stil, kurz bevor er 1812 an Tuberkulose starb. Es stellte die beiden konkurrierenden Inspirationsquellen der Nazarener – die heitere Kunst der italienischen Frührenaissance und die fromme, kontemplative Malerei ihres heimischen Nordeuropa – als zwei unschuldige Bräute dar: Sulamith sitzt in Gestalt einer raffaelitischen Madonna in einem ummauerten Garten in einer klassischen, mediterranen Landschaft; Maria sitzt allein in einem geschlossenen flämischen Interieur, ihr Haar und ein Stundenbuch betrachtend.

Overbeck vollendete seine Version der Allegorie auf die Freundschaft zum damaligen Zeitpunkt nicht, doch er kehrte Jahre später zum Thema zurück und veränderte Pforrs Sulamith und Maria zu zwei weiblichen Figuren, welche die abstrakten nationalen Ideale Italia und Germania darstellen. Auf einer Leinwand vereint, befinden sich die beiden Frauenfiguren in einer Fantasielandschaft, in der sowohl eine deutsche Stadt mit gotischer Kirchturmspitze als auch ein einfaches Kloster aus einer römischen Landschaft zu sehen sind. Germania, die mit beiden Händen eine der Hände Italias ergreift und sich mit ganzem Körper vorwärts lehnt, um Italias sanft geneigtem Haupt zu begegnen, scheint von beiden der Freundschaft dringender zu bedürfen. Dieser Eindruck wird durch einen Brief Overbecks an einen Kunsthändler von 1829 bestärkt, in dem er die Darstellung folgendermaßen erklärte: „Es ist endlich [ . . . ] die Sehnsucht gemeint, die den Norden beständig zum Süden hinzieht, nach seiner Kunst, seiner Natur, seiner Poesie;“ (zit. in Jürgen Gläsemer, Traum und Wahrheit: Deutsche Romantik aus Museen der Deutschen Demokratischen Republik, Ausstellungskatalog Bern, 1985.)

Während des 18. Und 19. Jahrhunderts bestand die generelle Vorstellung, dass der introspektive, spirituelle, melancholische nordeuropäische Künstler sich nach der Leichtigkeit und Wärme des südlichen Klimas sehnte. In seiner Geschichte der Kunst des Alterthums (1764) stellte der neoklassische Kunsthistoriker Johann Joachim Winckelmann die These auf, die Entwicklung der klassischen Form sei zumindest teilweise der Tatsache zuzuschreiben, dass die Künstler der Antike den Vorteil eines warmen Klimas genossen hätten und daher in der Lage gewesen seien, die natürliche Schönheit des unbekleideten menschlichen Körpers bei athletischer Betätigung beobachten zu können. Mehr als hundert Jahre später stellte der Philosoph Friedrich Nietzsche in Der Fall Wagner (1888) die Musik Richard Wagners der von der spanischen Kultur beeinflussten Oper Carmen von Georges Bizet gegenüber. Letztere, so Nietzsche, erlaube es dem Geist, sich zu erheben, da sie unter dem warmen, blauen mediterranen Himmel erschaffen worden sei, während erstere kalt, feucht und typisch teutonisch sei. In der Zwischenzeit folgten zahlreiche deutsche Künstler, Schriftsteller und Musiker dem Beispiel von Goethes Italienischer Reise und ließen sich vom Mythos Italien inspirieren.

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Friedrich Overbeck, <I>Italia und Germania</i> (1811-28)

© Foto: Joachim Blauel - ARTOTHEK
Original: Neue Pinakothek, Bayerische Staatsgemäldesammlungen, München