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Adolph von Menzel, Das Balkonzimmer (1845)

Dem Betrachter dieses erstaunlich gefälligen kleinformatigen Bildes von Adolph Menzel (1815-1905) werden einige überraschend moderne Eigenschaften des Bildes auffallen. Es ist spärlich, leicht, scheinbar kompositionslos, mit ungleichmäßiger Oberfläche, räumlich ambitioniert und entbehrt jeglichen moralischen, religiösen, historischen, allegorischen oder narrativen Inhalts. Es unterscheidet sich drastisch von den meisten zugänglichen bildlichen Vorlagen der Mitte der 1840er Jahre, wie den Buchillustrationen der letzten Generation der bayrischen Romantiker sowie der neoklassischen Linie und den perfekten Bildoberflächen des offiziellen akademischen Stils. Selbst die intimsten und persönlichsten Interieurs des Biedermeier – von denen Das Balkonzimmer zweifellos beeinflusst ist – wirken neben diesem Gemälde, das die gewöhnliche, alltägliche Umgebung des Künstlers als kraftvolles und legitimes Thema des Künstlers darstellt, wie Bühnendekorationen für eine bürgerliche Komödie.

Menzels frühes Meisterwerk war Teil einer neu aufkommenden „privaten“ Kunst – d.h. Kunst, die ursprünglich nicht für ein großes Publikum bestimmt war, sondern allein zum Vergnügen des Künstlers. Da solche Arbeiten normalerweise nicht dem Urteil der Öffentlichkeit ausgesetzt waren, bewegten sie sich außerhalb künstlerischer Konventionen und behielten oft die Frische und Unmittelbarkeit von Aquarellzeichnungen oder Ölskizzen. „Private“ Gemälde wurden häufig von der Familie des Künstlers, seinen Freunden und Schülern oder auch Künstlerkollegen gesammelt und oft erst nach dem Tod des Künstlers ausgestellt. (Das Balkonzimmer wurde beispielsweise erst öffentlich ausgestellt, als Hugo von Tschudi 1905 nach Menzels Tod eine Ausstellung zu seinem Gedenken in der Berliner Nationalgalerie organisierte.)

In Anlehnung an die Romantiker des 19. Jahrhunderts, die hohen Wert auf unverfälschte Empfindung und spontanen Ausdruck legten, verstanden einige Maler – vor allem Landschaftsmaler wie Franz Ludwig Catel, Carl Blechen und Carl Rottmann die „privaten“ Arbeiten als ein Mittel, die Grenzen dessen, was in der Malerei akzeptabel war, zu erweitern. Skizzenhafte Werke wurden zunehmend auf der Vorderseite datiert und signiert (wie auch Das Balkonzimmer), ebenso wie „vollendete“ Gemälde. Diese Entwicklung war jedoch ebenso eine gesellschaftliche wie eine ästhetische: der Rückgang des traditionellen Mäzenatentums von Hof und Kirche schuf zusammen mit der Entstehung einer wohlhabenden Mittelklasse einen neuen Markt für kleinere, weniger prunkvolle Werke zur Dekoration privater Wohnhäuser. Zudem ließ der neue, moderne Geschmack für Darstellungen des zeitgenössischen Lebens die offiziell sanktionierte, akademische Kunst vergleichsweise statisch und künstlich erscheinen. Die Skizzen und kleinformatigen impressionistischen Arbeiten solcher Maler wie Menzel und Blechen (den Menzel sehr bewunderte) waren insofern sehr populär und wurden wegen ihrer die Moderne vorwegnehmenden Handhabung von Farbe und Licht sowie ihres Vermögens, einen flüchtigen Moment einzufangen, gefeiert.

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Adolph von Menzel, <I>Das Balkonzimmer</i> (1845)

© Bildarchiv Preußicher Kulturbesitz / Nationalgalerie, SMB / Jörg P. Anders
Original: Nationalgalerie, Staatliche Museen zu Berlin