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Caspar David Friedrich, Caroline am Fenster (1822)

Dieses Gemälde zeigt Caspar David Friedrichs Frau Caroline am Fenster seines spärlich möblierten Ateliers in Dresden mit Blick über die Elbe. Das Bild ist gleichzeitig höchst ungewöhnlich und absolut typisch für sein Werk. Es ist ungewöhnlich, weil Friedrich zwar die Bewunderung seines Freundes Georg Friedrich Kersting für die nordeuropäische Malerei des 17. Jahrhunderts teilte, aber selbst nie jene häuslichen Innenansichten malte, die während des niederländischen Goldenen Zeitalters und im deutschen Biedermeier so beliebt waren. Selbst bei dem vorliegenden einmaligen Beispiel dieses Genres zeigt Friedrichs Porträt aber alle typischen Merkmale seines Stils: die strenge Geometrie der Komposition (die vertikale Linie der Fensterscheibe setzt sich zwischen den beiden mittleren Holzpanelen des Fußbodens genau fort), die Rückenfigur, angeordnet genau in der Mitte des Gemäldes, als ob sie unseren eigenen Blick versperren sollte (vergleichbar z.B. mit der Gestalt in Der Wanderer über dem Nebelmeer), die scharfen Kontraste zwischen dunkel und hell, verbunden mit unglaublich nuancierten Farbabstufungen, die beinahe obsessiv sorgfältige handwerkliche Ausführung sowie der naturalistische Detailreichtum und natürlich der unvermeidbare, überwältigende Eindruck, dass sich dieses Bild intensiv darum bemüht, uns etwas über die geistige und nicht die tatsächlich sichtbare Welt zu mitzuteilen.

Friedrichs Caroline, in der käfigartigen Anordnung ganz leicht zur Seite geneigt, steht auf der Grenze zwischen innerer Dunkelheit und himmlischem Licht. Die eindrucksvolle gelbe Färbung dieses Lichts nimmt sie durch eine Öffnung auf, die gerade groß genug für ihren Körper ist. Selbst ohne Nebel, das Meer, Berge, unheimliche Ruinen oder andere offenkundig romantische, erhabene Motive, die für Friedrichs Gemälde bis zu dieser Zeit typisch waren, ist der Eindruck des Verlangens nach einem Ausbruch aus dem Gefängnis des materiellen Lebens zugunsten eines höheren Versprechens sehr stark (besonders im Vergleich zu Kerstings Vor dem Spiegel (1827), das eine Frau zeigt, die offenbar nur deswegen danach verlangt, ihr Zimmer zu verlassen, um die Aufmerksamkeit vorbeispazierender Herren zu erregen). In den 1820er Jahren begann sich allerdings der Geschmack der Kritiker zu wandeln. Man wandte sich von dem überhöhten romantischen Verlangen ab und einer komfortableren bürgerlichen Vorstellung künstlerischer Wahrheit zu, wie sie Kersting bot. Ein Rezensent kritisierte in einem Wiener Feuilleton, Friedrichs Bild “… wäre sehr wahr und hübsch, wenn Friedrich hier nur nicht wieder seiner Laune gefolgt wäre, die er so sehr liebt, Personen nämlich gerade von hinten darzustellen, …teils in Beleuchtung und Stellung sehr unvorteilhaft…” (zitiert in The Spirit of an Age. Nineteenth-Century Paintings from the Nationalgalerie Berlin (Ausstellungskatalog), London 2001, S. 70). Das Zeitalter des romantischen Subjekts ging allmählich zu Ende, und für Friedrich, der einmal der Liebling der Dresdner Künstler- und Intellektuellenkreise gewesen war, hatte ein schmerzhafter Abstieg in die Vergessenheit begonnen, der erst vorüber war, als die Öffentlichkeit in der Jahrhundertausstellung der Berliner Nationalgalerie 1906 mit seiner Kunst neu bekannt gemacht wurde.

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Caspar David Friedrich, <I>Caroline am Fenster</i> (1822)

© Bildarchiv Preußischer Kulturbesitz / Nationalgalerie, SMB / Jörg P. Anders
Original: Nationalgalerie, Staatliche Museen zu Berlin