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Frühe deutsche feministische Kritik an der Ehe: Louise Otto, „Die Heirat auf dem Lande” (1851)

In ihrem Artikel „Die Heirat auf dem Lande“ (1851), den sie in der von ihr herausgegebenen Frauen-Zeitung veröffentlichte, übte Louise Otto (1819-1895) scharfe Kritik an der „Rohheit“ und Immoralität von Heiraten auf dem Lande. Bei diesen Eheverbindungen, die zunehmend von Mittelsmännern bäuerlicher „Ökonomen“ arrangiert wurden, ging es allein um Besitzerwerb, während die gegenseitige Zuneigung keine Rolle spielte, zumal sich die Partner oft gar nicht kannten.

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Nach unseren Begriffen, nach denen, welche der ganzen Richtung unserer 'Frauen-Zeitung' zugrunde liegen, ist die Ehe ein sittliches und mithin heiliges Bündnis. In der Natur eines solchen liegt es schon, daß diejenigen, welche es schließen, von der heiligen Bedeutung durchdrungen sein müssen – oder sie begehen eine Entheiligung.

Ein solches Vergehen finden wir nicht etwa allein im sogenannten gemeinen Ehebruch, wir finden es vielmehr in der Art, wie große Zahlen von Ehen geschlossen werden, wo die Welt beifällig und billigend urteilt und der Priester vor dem Altar die kirchliche Weihe gibt, einem – Sakrilegium.

Betrachten wir einmal etwas näher die Art und Weise, wie man in der Gegenwart Ehen zu schließen pflegt, und machen wir den Anfang mit der Heirat auf dem Lande, [ . . . ] Werfen wir zunächst einen Blick auf die Begüterten in den Dörfern des Königreichs Sachsens. Es ist bekannt und weit und breit rühmlichst anerkannt, daß die Volksbildung in Sachsen, der manchen andern deutschen Staaten voraus ist; [ . . . ] die Gebirgs- und Fabriksdistrikte abgerechnet, erfreut sich die ländliche Bevölkerung eines ziemlichen Wohlstandes. Die großen Rittergüter sind meist in die Hände tüchtiger Ökonomen übergegangen, große Güter sind dismembriert worden, andere Bauerngüter haben sich durch neue Felderwerbungen vergrößert – es hat sich allmählich auf dem Lande so gut wie in den Städten eine Aristokratie des Besitzes gebildet – was die industrielle Bourgeoisie in den Städten, das ist auf dem Lande die Bauern-Aristokratie. Zwischen den adligen Rittergutsbesitzern [ . . . ] und den kleinen kümmerlich lebenden Häuslern und ländlichen Arbeitern hat sich besonders in einigen Gegenden Sachsens,
[ . . . ] ein wohlhabender Mittelstand gebildet, welcher mit jenem den Besitz, mit diesem die Arbeit teilt. Diese Ökonomen sind gleich stolz auf ihr Geld wie auf ihren Stand und sie suchen das in allem zu beweisen. [ . . . ]

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