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„Mit brennender Sorge”: Enzyklika über die Lage der katholischen Kirche im Deutschen Reich (14. März 1937)

Hitler betrachtete das Reichskonkordat als kurzfristiges Mittel zum Zweck, das jederzeit gebrochen werden konnte. Schon 1933 begann die staatliche Bedrängung der katholischen Kirche durch systematische Behinderung ihrer Vereinsarbeiten, die Unterdrückung ihrer Presse, willkürliche Schikane sowie durch ausgedehnte Hetz- und Verleumdungskampagnen gegen Kleriker, von denen viele unter dem Vorwurf der Korruption oder Moralvergehen verhaftet und angeklagt wurden. Dem hatten die Kirchenvertreter oft nur Beschwerdeschreiben entgegenzusetzen, die auf die Vereinbarungen des Konkordats pochten. Die einzige Protestmaßnahme des Heiligen Stuhls gegen das NS-Regime war die folgende päpstliche Enzyklika „Mit brennender Sorge“ vom 14. März 1937, die sowohl den nationalsozialistischen Bruch des Konkordats sowie die rassenideologische, antichristliche Grundlagen und Maßnahmen der Nationalsozialisten verurteilte. Sie wurde in allen katholischen Gemeinden des Reiches verteilt und verlesen, was eine erneute Verfolgungswelle von Geistlichen auslöste.

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Rundschreiben an die ehrwürdigen Brüder Erzbischöfe und Bischöfe Deutschlands und die anderen Oberhirten die in Frieden und Gemeinschaft mit dem Apostolischen Stuhle leben: Über die Lage der katholischen Kirche im Deutschen Reich


Ehrwürdige Brüder
Gruß und Apostolischen Segen!

Mit brennender Sorge und steigendem Befremden beobachten Wir seit geraumer Zeit den Leidensweg der Kirche, die wachsende Bedrängnis der ihr in Gesinnung und Tat treubleibenden Bekenner und Bekennerinnen inmitten des Landes und des Volkes, dem St. Bonifatius einst die Licht- und Frohbotschaft von Christus und dem Reiche Gottes gebracht hat.

Diese Unsere Sorge ist nicht vermindert worden durch das, was die Uns an Unserem Krankenlager besuchenden Vertreter des hochwürdigsten Episkopats wahrheits- und pflichtgemäß berichtet haben. Neben viel Tröstlichem und Erhebendem aus dem Bekennerkampf ihrer Gläubigen haben sie bei aller Liebe zu Volk und Vaterland und bei allem Bestreben nach abgewogenem Urteil auch unendlich viel Herbes und Schlimmes nicht übergehen können. Nachdem Wir ihre Darlegungen vernommen, durften Wir in innigem Dank gegen Gott mit dem Apostel der Liebe sprechen: »Eine größere Freude habe ich nicht, als wenn ich höre: meine Kinder wandeln in der Wahrheit« (3 Joh. 4). Der Unserem verantwortungsvollen apostolischen Amt ziemende Freimut und der Wille, Euch und der gesamten christlichen Welt die Wirklichkeit in ihrer ganzen Schwere vor Augen zu stellen, fordern von Uns aber auch, daß Wir hinzufügen: Eine größere Sorge, ein herberes Hirtenleid haben Wir nicht, als wenn Wir hören: viele verlassen den Weg der Wahrheit (vgl. 2 Petr. 2,2).

Als Wir, Ehrwürdige Brüder, im Sommer 1933 die Uns von der Reichsregierung in Anknüpfung an einen jahrealten früheren Entwurf angetragenen Konkordatsverhandlungen aufnehmen und zu Euer aller Befriedigung mit einer feierlichen Vereinbarung abschließen ließen, leitete Uns die pflichtgemäße Sorge um die Freiheit der kirchlichen Heilsmission in Deutschland und um das Heil der ihr anvertrauten Seelen – zugleich aber auch der aufrichtige Wunsch, der friedlichen Weiterentwicklung und Wohlfahrt des deutschen Volkes einen wesentlichen Dienst zu leisten.

Trotz mancher schwerer Bedenken haben Wir daher Uns damals den Entschluß abgerungen, Unsere Zustimmung nicht zu versagen. Wir wollten Unsern treuen Söhnen und Töchtern in Deutschland im Rahmen des Menschenmöglichen die Spannungen und Leiden ersparen, die andernfalls unter den damaligen Verhältnissen mit Gewißheit zu erwarten gewesen wären. Wir wollten allen durch die Tat beweisen, daß Wir, einzig Christus suchend und das, was Christi ist, niemandem die Friedenshand der Mutterkirche verweigern, der sie nicht selbst zurückstößt.

Wenn der von Uns in lauterer Absicht in die deutsche Erde gesenkte Friedensbaum nicht die Früchte gezeitigt hat, die Wir im Interesse Eures Volkes ersehnten, dann wird niemand in der weiten Welt, der Augen hat, zu sehen, und Ohren, zu hören, heute noch sagen können, die Schuld liege auf Seiten der Kirche und ihres Oberhauptes. Der Anschauungsunterricht der vergangenen Jahre klärt die Verantwortlichkeiten. Er enthüllt Machenschaften, die von Anfang an kein anderes Ziel kannten als den Vernichtungskampf. In die Furchen, in die Wir den Samen aufrichtigen Friedens zu pflanzen bemüht waren, streuten andere – wie der inimicus homo der Heiligen Schrift (Matth. 13,25) – die Unkrautkeime des Mißtrauens, des Unfriedens, des Hasses, der Verunglimpfung, der heimlichen und offenen, aus tausend Quellen gespeisten und mit allen Mitteln arbeitenden grundsätzlichen Feindschaft gegen Christus und seine Kirche. Ihnen, und nur ihnen, sowie ihren stillen und lauten Schildhaltern fällt die Verantwortung dafür zu, daß statt des Regenbogens des Friedens am Horizont Deutschlands die Wetterwolke zersetzender Religionskämpfe sichtbar ist.

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