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Hans Kehrl beschreibt die uneinheitliche und ineffiziente Wirtschaftsleitung im Herbst 1940 (Rückblick, 1973)

Wie alle anderen politischen Bereiche waren auch die deutsche Wirtschafts- und Rüstungsplanung durch eine Vielzahl konkurrierender Instanzen geprägt, die einerseits große Flexibilität, aber andererseits auch Planungschaos und allseits schwächende Rivalitäten bedingten. So waren im Jahre 1940 neben Görings Vierjahresplanbehörde auch das Wehrwirtschafts- und Rüstungsamt unter General Georg Thomas, das Ministerium für Bewaffnung und Munition unter Fritz Todt und das Reichswirtschaftsministerium unter Walther Funk in diesen Bereichen tätig.

Die folgende Abhandlung Hans Kehrls gewährt Einsicht in die zersplitterte und ineffektive Wirtschaftsleitung im Herbst 1940. Zu diesem Zeitpunkt war Kehrl als Generalreferent für Sonderaufgaben im Reichswirtschaftsministerium für die Beschaffung von Rohstoffen aus den im Krieg besetzten Gebieten verantwortlich. Später stieg er zum Chef des Planungsamtes in Albert Speers Rüstungsministerium auf. 1949 wurde er im sogenannten „Wilhelmstraßenprozess“ wegen seiner Beteiligung an verbrecherischen wirtschaftlichen Transaktionen zu einer langjährigen Haftstrafe verurteilt, aber kurz darauf begnadigt.

Der folgende Ausschnitt stammt aus Kehrls Memoiren Krisenmanager im Dritten Reich: 6 Jahre Frieden, 6 Jahre Krieg: Erinnerungen, die 1973 erschienen.

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Der Versuch, im Rahmen des Ministeriums auf dem üblichen Dienstwege irgendeine Orientierung oder Richtlinien für die weitere Arbeit zu erhalten, erwies sich als ergebnislos. Staatssekretär Dr. Landfried hatte für wirtschaftliche Zusammenhänge nur ein bescheidenes Vorstellungsvermögen und sicherlich keine Phantasie, um eigene Ideen zu entwickeln. Er beschränkte sich im wesentlichen darauf, das, was sich tat, woher auch immer, in verwaltungsmäßig geordnete Bahnen zu leiten und die Weisungen des Vierjahresplanes auszuführen, wenn es welche gab. Ein Gespräch mit Walter Funk zeigte, daß er als Reichswirtschaftsminister keinerlei Kontakt zu Hitler hatte, da dieser seit Kriegsausbruch ausschließlich in militärisch-politischen Überlegungen aufging. Irgendwelche Weisungen des Vierjahresplanes lagen weder vor noch wurden sie erwartet. Göring als Oberbefehlshaber der Luftwaffe hatte sich intensiv den Kriegshandlungen in Polen, Norwegen und im Westfeldzug gewidmet. Die militärischen Ereignisse nahmen seine Arbeitskraft und seine Gedanken völlig in Anspruch. Der »Vierjahresplan«, der als gesamtwirtschaftliches Befehlszentrum gedacht war, lag daher fast still. Ein Gespräch, das ich mit Staatssekretär Körner führte, ergab, daß noch nicht einmal die bescheidensten Anregungen oder Orientierungshilfen zu bekommen waren. Nur laufende Angelegenheiten wurden erledigt. Funk widmete sich überwiegend seiner Aufgabe als Reichsbankpräsident, weil er von den finanziellen und währungspolitischen Problemen am meisten verstand.

Die einzige Gelegenheit im Hause, mich zu informieren, waren die verhältnismäßig häufigen Abteilungsleiterbesprechungen, die General von Hanneken abhielt. Als ich nach meiner Rückkehr von den Reisen in die besetzten Westgebiete einen Bericht abstattete, versuchte ich auch, ein allgemeines Gespräch über die Zielvorstellungen in Gang zu bringen über die Richtlinien unserer Arbeit in der Zukunft. Die Kriegshandlungen und deren verblüffendes und von den meisten Beamten sicher nicht erwartetes Ergebnis hatten eine Art euphorischer Welle gerade bei denjenigen hervorgerufen, die vorher die Zukunftsaussichten des Krieges äußerst skeptisch beurteilt hatten. Bei einer der ersten Abteilungsleiter-Besprechungen nach Beginn des Westfeldzuges hatte der damalige Ministerialdirigent Holtz süffisant gesagt, er wisse genau, wie lange der Krieg dauern könne, nämlich sechs Monate. Auf meine Frage, wie er darauf käme, meinte er: »Unser Kupfer reicht nur für sechs Monate, länger können wir nicht Krieg führen.« Das traf allerdings keineswegs zu. Denn man war, wie ich damals feststellte, erstaunlicherweise davon ausgegangen, daß der bedeutende Nicht-Rüstungsbedarf auch im Kriege weiter voll bedient würde. Die bedeutenden Rückgewinnungsmöglichkeiten aus der Industrie und Konsumgütersphäre, die im ersten Weltkrieg eine überragende Rolle gespielt hatten, waren auch gar nicht in Ansatz gebracht.

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Möglicherweise durch meine Bemerkungen angeregt, berichtete General von Hanneken, der enge Fühlung zum Heereswaffenamt und zu Thomas' Wirtschafts- und Rüstungsstab unterhielt, daß tatsächlich im Westkrieg insbesondere der Munitionsverbrauch, aber auch der Treibstoffverbrauch, weit hinter den Voranschlägen zurückgeblieben war. Einige Wochen später unterrichtete er uns über die Vorbereitungen für die »Aktion Seelöwe«, eine für den August oder September geplante Landung mit starken Kräften in England. Das sei die einzige Kriegshandlung, die in absehbarer Zeit – wenn überhaupt – zu erwarten wäre. Der errechnete Materialbedarf an Rüstungsgütern lag verhältnismäßig niedrig, da ja für eine Invasion nach England nicht Millionen eingesetzt werden konnten, sondern nur Hunderttausende. Hanneke berichtete ferner, daß aufgrund dieser Erfahrungen die Produktion von Munition, Bomben und Durchschnittswaffen stark herabgesetzt worden war, da hierfür »in absehbarer Zeit kein Bedarf vorliegt«. Die Panzerproduktion dagegen sollte forciert fortgeführt werden, was – nach Hannekens Meinung – kompletter Unsinn sei. Er meinte, wir hätten »genug« Panzer. Schließlich teilte er noch mit, daß er von Staatssekretär Körner »gehört« habe, es sei der Wunsch Hitlers, Einschränkungen für die Zivilbevölkerung und die Wirtschaft so schonend wie möglich durchzuführen und scharfe Eingriffe zu unterlassen. Mir persönlich sagte er, daß die von mir auf dem Bekleidungsgebiet teils eingeführten, teils vorbereiteten harten Maßnahmen »unliebsam aufgefallen« seien.

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