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Das Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses (14. Juli 1933)

Wie kein anderes Zitat verdeutlicht Rudolf Heß’ (1894-1987) Ausspruch, beim Nationalsozialismus handele es sich um „angewandte Rassenkunde“ das Politikverständnis des NS-Regimes. Obwohl die Nationalsozialisten das Judentum als den gefährlichsten Rassenfeind des deutschen Volkes einstuften, erfasste der Rassenwahn auch andere biologisch definierte Gruppen, die sich durch ethnische, soziale oder medizinische Besonderheiten auszeichneten und mittels sogenannter „eugenischer" oder „rassenhygienischer" Maßnahmen bekämpft werden sollten. Eines der deutlichsten Beispiele hierfür war das folgende „Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“ vom 14. Juli 1933, das die Möglichkeit der erblichen Übertragung bestimmter Krankheiten durch Zwangssterilisation verhindern sollte. Das Gesetz bestimmte neun verschiedene, oft unklar definierte Gruppen von Erbkranken. So unterlagen u.a. Schwachsinnige, Schizophrene, Epileptiker und chronische Alkoholiker der Zwangssterilisation. Die individuellen Fälle wurden von sogenannten „Erbgesundheitsgerichten“ begutachtet, die sich aus regimetreuen Juristen und Medizinern zusammensetzten. Obwohl dieses Programm 1939 größtenteils eingestellt wurde, verordneten die Erbgesundheitsgerichte bis zum Ende des Krieges insgesamt circa 400.000 Menschen den sogenannten „Hitlerschnitt“ .

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Das Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses (14. Juli 1933)


Die Reichsregierung hat das folgende Gesetz beschlossen, das hiermit verkündet wird:

§ 1.
Wer erbkrank ist, kann durch chirurgischen Eingriff unfruchtbar gemacht (sterilisiert) werden, wenn nach den Erfahrungen der ärztlichen Wissenschaft mit großer Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist, daß seine Nachkommen an schweren körperlichen oder geistigen Erbschäden leiden werden.
Erbkrank im Sinne dieses Gesetzes ist, wer an einer der folgenden Krankheiten leidet: 1. angeborenem Schwachsinn, 2. Schizophrenie, 3. zirkulärem (manisch-depressivem) Irresein, 4. erblicher Fallsucht, 5. erblichem Veitstanz (Huntingtonsche Chorea), 6. erblicher Blindheit, 7. erblicher Taubheit, 8. schwerer erblicher körperlicher Mißbildung.
Ferner kann unfruchtbar gemacht werden, wer an schwerem Alkoholismus leidet.

§ 2.
Antragsberechtigt ist derjenige, der unfruchtbar gemacht werden soll. Ist dieser geschäftsunfähig oder wegen Geistesschwäche entmündigt oder hat er das achtzehnte Lebensjahr noch nicht vollendet, so ist der gesetzliche Vertreter antragsberechtigt; er bedarf dazu der Genehmigung des Vormundschaftsgerichts. In den übrigen Fällen beschränkter Geschäftsfähigkeit bedarf der Antrag der Zustimmung des gesetzlichen Vertreters. Hat ein Volljähriger einen Pfleger für seine Person erhalten, so ist dessen Zustimmung erforderlich. [ . . . ]

§ 3.
Die Unfruchtbarmachung können auch beantragen 1. der beamtete Arzt, 2. für die Insassen einer Kranken-, Heil- oder Pflegeanstalt oder einer Strafanstalt der Anstaltsleiter.

§ 4.
Der Antrag ist schriftlich oder zur Niederschrift der Geschäftsstelle des Erbgesundheitsgerichts zu stellen. Die dem Antrag zu Grunde liegenden Tatsachen sind durch ein ärztliches Gutachten oder auf andere Weise glaubhaft zu machen. Die Geschäftsstelle hat dem beamteten Arzt von dem Antrag Kenntnis zu geben.

§ 5.
Zuständig für die Entscheidung ist das Erbgesundheitsgericht, in dessen Bezirk der Unfruchtbarzumachende seinen allgemeinen Gerichtsstand hat.

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