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Der Verein deutscher Studenten: Leipziger Studenten gedenken der ersten zehn Jahre (1881-1891)

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Im W.-S. 81/82 traten die Couleurstudenten aus; der Verein begann sich als besondere studentische Korporation zu bilden. Das folgende W.-S. 82/83 brachte die Abfassung einer Geschäftsordnung und die Einsetzung eines Ehrenrates. Dieses Semester eröffnete der Verein mit einer öffentlichen Versammlung, auf welcher der Direktor des Statistischen Büros der Stadt Leipzig, Dr. Hasse, über „Die Kolonisation, eine Erziehung des deutschen Volkes“ einen Vortrag hielt. Leipzig hat seitdem regelmäßig solche öffentliche Vortragsabende abgehalten, auf denen Dozenten und andere bekannte Persönlichkeiten über Fragen des nationalen Lebens sprachen.

Die Lesehalle, auf die im Sommer 1881 ein Anlauf geglückt war, wurde am 12. November 1882 neu erobert und ist seitdem mit einer Ausnahme des W.-S. 89/90, welches eines der schlaffsten Semester des Leipziger Vereins gewesen ist, immer in den Händen der vom V. D. St. aufgestellten oder gebilligten Kandidaten geblieben.

Wenn auch an Stelle des interkorporativen Prinzips des Gründungssemesters eine auf den Verein beschränkte Mitgliedschaft getreten war, so blieb doch die Wirkung nach außen Hauptaufgabe und die Erweckung und Vertiefung des Nationalbewußtseins innerhalb der ganzen Studentenschaft Hauptziel des Vereins. Infolgedessen hat er im ersten Jahrzehnt fast regelmäßig seine Antritts- und Schlußkommerse in größeren Sälen unter Beteiligung von zahlreichen Gästen aus der Professoren- und Studentenschaft gefeiert. Wenn diese Abende auch nicht immer so bedeutend gewesen sein mögen, wie der Antrittskommers des S.-S. 84 im Roten Saal des Krystallpalastes, auf dem Prof. Luthardt über das Thema: „Wie steht der Verein zum Christentum?“ sprach, so waren diese Tage doch keine auf die Vereinsmitglieder beschränkten festlichen Begebenheiten; sie sollten vielmehr auch auf einen größeren Kreis wirken. Vor allem waren es die Feiern der nationalen Gedenktage, mit denen der K. V. tatsächlich die Begeisterung für die Großzeiten deutscher Geschichte und die Pflege ihrer Ueberlieferung in die gesamte deutsche Studentenschaft getragen hat, an welcher Arbeit auch der V. D. St. Leipzig regsten Anteil nahm. Reichskommers, Bismarck- und Moltkekommerse und Kaisergeburtstagsfeiern bildeten dafür die regelmäßig wiederkehrenden Gelegenheiten. Am 18. Januar 1882 war der Reichskommers von Vbr. jur. M. U. Rosenhagen geleitet worden. Im folgenden Jahre fand er wieder auf Anregung des V. D. St. statt, und zwar als Veranstaltung der gesamten Studentenschaft unter dem Vorsitz des Rektors, mit Ausnahme der Korps, welche auf die führende Stellung des V. D. St. eifersüchtig waren. Auf diesem Kommers sowie auf dem bald darauf folgenden dritten Stiftungsfest am 10. Februar 1883 standen die Reden des Elsässers theol. Schweitzer aus Heiligenstein im Elsaß im Mittelpunkt der Belangstellung sowohl wegen der Begeisterung, mit der sie vorgetragen wurden, als auch wegen der Herkunft des Redners, der Mitgründer und früherer Vorsitzender der elsässischen Verbindung Vogesina in Straßburg war. Auf dem Reichskommers der Leipziger Studentenschaft am 19. Januar 1885, der wieder unter dem Vorsitz des Rektors stattfand, stellte der V. D. St. in seinem Mitglied iur. Raeck den einzigen studentischen Redner des Abends. Der Vereinsbruder theol. Röhr war Vorsitzender des Ausschusses für die Feier von Bismarcks 70. Geburtstag, und die zwei studentischen Redner wurden dem V. D. St. entnommen. Nach dem Reichskommers des Jahres 1886 wurde ein ständiger Ausschuß der Studentenschaft angeregt. Es kam jedoch nur ein Vertreterkomitee zustande, worin der V. D. St. den Vorsitz hatte. Auch die beiden folgenden Jahre verliefen die Reichskommerse in der üblichen Form. Aber auch an anderen nationalen Gedenktagen oder bei Ehrungen deutscher Führer trat der V. D. St. führend und anregend hervor, wie bei der Lutherfeier in Erfurt und auf der Wartburg im S.-S. 83, wo er im Namen der Leipziger Studentenschaft teilnahm, oder wie bei der in Leipzig regelmäßig begangenen Sedanfeier, bei der er 1884 und 1885 als alleiniger Vertreter der Studentenschaft die Universitätsfahne trug. Im W.-S. 84/85 ehrte er den Komponisten Bruckner anläßlich einer Aufführung einer Symphonie von ihm im Neuen Theater durch Ueberreichung eines Lorbeerkranzes. Bei der Grundsteinlegung des Reichsgerichts am 31. Oktober 1888 trug der V. D. St. wieder eine Universitätsfahne. Zum 90. Geburtstage Kaiser Wilhelms I. wurde am 22. März 1887 der Vorsitzende des V. D. St. Richard Heinze als alleiniger Vertreter der Leipziger Studentenschaft nach Berlin entsandt. So kann man wohl die achtziger Jahre als eine in der Geschichte der Studentenschaft seltene Glanzzeit eines studentischen Vereins bezeichnen, umso mehr als diese Glanzzeit sofort in die ersten Jahre seines Bestehens fällt. Deutlich erkennt man daraus aber auch die Jugendfrische, die in ihm lebte, und daß er eine Geburt der Begeisterung und nicht der Reflexion war.

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