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9. Schlußbemerkungen: Drei Geisteshaltungen des Zeitalters
Druckfassung

1. Die Konturen des Alltagslebens   |   2. Das Heilige Römische Reich Deutscher Nation   |   3. Macht und Herrschaft im deutschen Territorialfürstentum: Der Ständestaat   |   4. Die Gesellschaftsordnung   |   5. Das Wirtschaftsleben   |   6. Kulturelles Leben im Anschluss an den Dreißigjährigen Krieg   |   7. Die Originalität der deutschen Aufklärung   |   8. Spannungen der Spätaufklärung   |   9. Schlußbemerkungen: Drei Geisteshaltungen des Zeitalters   |   10. Kurzbibliographie zusammenfassender Werke und allgemeiner Darstellungen zur deutschen Geschichte


Es war das Geschick des deutschen Volkes, Selbstbewusstsein durch den Staat zu erreichen – idealerweise durch den Nationalstaat. Vernunft, Macht und Gemeinschaftsgefühl würden sich vereinen, um das nationale Leben zu formen, unähnlich anderen anderswo und Ausdruck des Geistes des ganzen Volkes sowie seiner einzelnen Bestandteile. Dies war die Vision eines post-liberalen, wenngleich nicht unbedingt antiliberalen kommunitaristischen deutschen Nationalismus, der wie alle modernen Nationalismen ein Element von Mystizismus bewahrt, der zuvor die auf religiösem Selbstverständnis beruhenden Zivilisationen beflügelt hatte.

Doch wie die anschließende Geschichte gezeigt hat, ist der Nationalstaat weit mehr als eine Idee oder Quelle der Identität. Es ist die Hauptbühne, auf der die Menschheit – die Kant mit einem „Krummholz“ verglich – ihre Modernitätsprojekte inszenierte. Das auf dieser Bühne im Zeitraum 1914-1945 aufgeführte Drama erwies sich als verheerend. Doch am Ende der Epoche von 1648 bis 1815 hatten die Protagonisten in der Tragödie des 20. Jahrhunderts das Vorzimmer der Geschichte noch nicht einmal betreten. Auch war ihr ideologisches Gewand noch nicht geschneidert und ihr Drehbuch noch nicht geschrieben. Stattdessen zeitigten, wie die hier gesammelten Dokumente aufzeigen, die Jahre der Französischen Revolution und Napoleons in Deutschland – bekanntermaßen in Preußen, doch auch in den unter französischer Herrschaft im Rheinbund versammelten Staaten, insbesondere Bayern, Baden und Württemberg – nutzbringende Staats- und Gesellschaftsreformen. In der Konfrontation und der in vielfältiger Weise kreativen Reaktion auf die Herausforderungen des europäischen Umfelds nach 1789 umfassten die wesentlichen hier präsentierten Ideen: die Verteidigung historischer Rechte und Interessen, den Aufklärungsrationalismus und Staatsrealismus, die Begeisterung für „Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit“ und die Vorstellungen von deutscher Einheit.


William W. Hagen

Seite 27

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