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5. Das Wirtschaftsleben
Druckfassung

1. Die Konturen des Alltagslebens   |   2. Das Heilige Römische Reich Deutscher Nation   |   3. Macht und Herrschaft im deutschen Territorialfürstentum: Der Ständestaat   |   4. Die Gesellschaftsordnung   |   5. Das Wirtschaftsleben   |   6. Kulturelles Leben im Anschluss an den Dreißigjährigen Krieg   |   7. Die Originalität der deutschen Aufklärung   |   8. Spannungen der Spätaufklärung   |   9. Schlußbemerkungen: Drei Geisteshaltungen des Zeitalters   |   10. Kurzbibliographie zusammenfassender Werke und allgemeiner Darstellungen zur deutschen Geschichte


Bis zum frühen 19. Jahrhundert zählte Deutschland Tausende von Manufakturen und hatte im preußischen Bergbau begonnen, die Dampfmaschine für Pumpvorgänge einzusetzen. Als die industrielle Revolution über den Ärmelkanal auf dem Festland ankam, zeigten sich deutsche Unternehmer aufgeschlossen und anpassungsfähig. Kapitalinvestitionen in der durch Kohle angetriebenen Industrialisierung, die in Deutschland von kostspieliger Eisenbahntechnik abhing, verlangten Innovationen im Bankwesen und der Staatspolitik, die für das 19. Jahrhundert zeitgemäß waren. Für Massen von Handwerksproduzenten, angewiesen auf ihre Muskelkraft, bedeutete die mechanisierte Konkurrenz schließlich den Ruin, wenngleich andere in den neuen Fabriken Arbeitsplätze fanden. Die Anwerbung von Arbeitskräften in die blühende deutsche Wirtschaft erforderte ein Ende der Bauernabhängigkeit. Regierungen begannen zögerlich, die persönliche rechtliche Emanzipation der untertänigen Bauern sowie die Umwandlung ihrer Lehen zu lehnsfreien Bauernhöfen durchzuführen, meist gegen Entschädigung in Bargeld oder Land für ihre ehemaligen Grundherren.

Wie sich zeigen wird, hat Preußen den Weg für diesen zweifachen Prozess bereitet, indem es in den Jahren 1807-1816 ein von der Bürokratie kleinteilig durchgeführtes Verfahren der Umwandlung des Grundbesitzes in privatrechtliches Eigentum einleitete, das sich bis 1848 und länger hinzog. Österreich und die süddeutschen Staaten fanden es leichter, lediglich den persönlichen Rechtsstatus der Bauern zu verbessern, als sie mit Bauernhöfen im freien Grundeigentum auszustatten, und durch das Fehlen dieser Höfe gingen die Produktivitätssteigerungen der kapitalistischen Marktlandwirtschaft und damit die Migration der befreiten Arbeiter vom Dorf zu den industriellen Standorten langsamer vonstatten. Dennoch wanderte im frühen 19. Jahrhundert allenthalben das überschüssige Arbeitspotenzial von der Landwirtschaft ab. Als die Technik der industriellen Revolution in Reichweite kam, griffen deutsche Unternehmer zu, zuversichtlich, dass ihnen billige industrielle Arbeitskräfte zur Verfügung standen, selbst wenn eine Gruppe unentbehrlicher erwachsener Facharbeiter höhere Löhne einforderte.

Im 18. Jahrhundert fand neben den absolutistischen Gewerbebetrieben und den Manufakturen der Unternehmer aus der Mittelschicht die größte Innovation in der großangelegten Landwirtschaft statt, insbesondere auf den nördlichen und östlichen Adelsgütern und den Gutsherrschaften in Staatseigentum. Hier resultierte die weit verbreitete Aufgabe des traditionellen Getreideanbaus mit Brache (Dreifelderwirtschaft) in einer neuen „Fruchtwechselwirtschaft“ (früher bekannt in den Niederlanden und den Küstengebieten Deutschlands). Getreide wechselten sich nun ab mit neuen Futterpflanzen (Steckrüben, Kartoffeln, Futterklee), während Ackerland mit Weideland alternierte, was den Ertrag und die Rentabilität der großen Landwirtschaften deutlich erhöhte.

Eine derartige, auch als „landwirtschaftliche Kapitalisierung“ bezeichnete Entwicklung war häufig das Werk von Pächtern aus dem Mittelstand, welche die großen Güter des Adels (und der fürstlichen Regierungen) leiteten. Sie trugen, zusammen mit vielen adligen Gutsbesitzern, die mit bürgerlichen Verwaltern arbeiteten, um der verheißenen Gewinne willen die Risiken der technischen Innovation. Diese und andere landwirtschaftliche Investitionen, einschließlich der Ausdehnung der landwirtschaftlichen Nutzfläche durch die von fürstlichen Regierungen finanzierte Entwässerung von Sumpfgebieten, halfen, den Anstieg der Getreide- und übrigen Lebensmittelpreise zu mäßigen, der mit dem Bevölkerungswachstum in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts einherging. Für die Erzeuger günstige Märkte generierten Gewinne unter den Landwirten, darunter den Millionen von traditionellen Dorfbauern, die ihre bescheidenen Überschüsse lokal verkauften und damit in Deutschland die Nachfrage nach Fertigprodukten im unteren Marktsegment belebten.

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