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3. Macht und Herrschaft im deutschen Territorialfürstentum: Der Ständestaat
Druckfassung

1. Die Konturen des Alltagslebens   |   2. Das Heilige Römische Reich Deutscher Nation   |   3. Macht und Herrschaft im deutschen Territorialfürstentum: Der Ständestaat   |   4. Die Gesellschaftsordnung   |   5. Das Wirtschaftsleben   |   6. Kulturelles Leben im Anschluss an den Dreißigjährigen Krieg   |   7. Die Originalität der deutschen Aufklärung   |   8. Spannungen der Spätaufklärung   |   9. Schlußbemerkungen: Drei Geisteshaltungen des Zeitalters   |   10. Kurzbibliographie zusammenfassender Werke und allgemeiner Darstellungen zur deutschen Geschichte


Wenn auch nicht unmittelbar, so sahen die preußischen adligen und bürgerlichen Eliten doch nach einer oder zwei Generationen ihre Interessen durch den preußischen „Absolutismus“ befördert. Der niedere Landadel wurde zum wohl herausragenden Dienstadel Europas, seine Angehörigen dominierten das preußische Offizierskorps und bekleideten zudem unzählige Verwaltungsposten. Die umfassenden Investitionen des preußischen Staates in die Wirtschaftsentwicklung (insbesondere zur Versorgung seiner Armee) zogen das kaufmännisch-produzierende Bürgertum ebenfalls in die Zusammenarbeit mit dem Staat hinein. Das gebildete Bürgertum lebte überwiegend von der Beschäftigung im Staatsdienst, während viele Nichtadelige in der Landwirtschaft als Pächter von Krongütern und als Pachtbauern, Gutsverwalter oder Gerichtshalter (Justiziare) auf Adelsgütern Erfolg hatten. Auf diese Weise band das preußische Muster die besitzenden und gebildeten Eliten in neue, staatlich erzeugte Strukturen ein und ließ daneben keine wirkungsmächtigen Oppositionsinteressen bestehen.

Während der langen Herrschaft Friedrichs II. führte Preußen dramatische, siegreiche Kriege gegen Österreich (und seine wechselnden europäischen Verbündeten) mit dem erfolgreich erreichten Ziel, die große und wohlhabende österreichische Provinz Schlesien zu erobern und zu halten. Der Erwerb dieses Preises erhob Preußen auf eine konkurrierende Stufe mit Österreich als Makler der deutschen Geschicke und in den Rang der neuesten unter den (nun) fünf europäischen Großmächten. Friedrichs Kriege bildeten eine preußische Identität und Vaterlandsliebe heraus, die auch zu den einfachen Bevölkerungsschichten vordrangen und die Bindung zwischen Staat und Gesellschaft festigten. Seine Erfolge erzeugten einen preußischen Nimbus, der in ganz Deutschland Unterstützung fand, besonders in protestantischen Ländern, deren eigene fürstliche Regimes undynamisch und selbstsüchtig erschienen, unaufgeklärt und nicht fortschrittlich, unrühmlich und – ein Gedanke, der nach 1763 aufkam – gleichgültig gegenüber „Deutschland“. Tatsächlich setzte Preußen jedoch wie andere Machtstaaten seine eigenen Interessen (seine Raison d’État) regelmäßig an erste Stelle, wie seine Beteiligung an den machiavellistischen Teilungen Polens (1772-95) und andere der eigenen Machtausdehnung dienende politische Maßnahmen während der Französischen Revolution und der napoleonischen Zeit deutlich machten.

Auch sollte Preußens Erfolg bei der Schaffung eines militarisierten Machstaates nicht überbewertet werden. Napoleons Frankreich versetzte ihm 1806 eine vernichtende Niederlage und bürdete ihm dann territoriale, militärische und wirtschaftliche Verluste auf, die lähmend gewesen wären, hätte Napoleons Sturz 1812-15 sie nicht rückgängig gemacht. Doch verglichen mit anderen deutschen Ländern zeigte Preußen entscheidende Stärke beim Zusammenhalt seiner Eliten und bei der Mobilisierung seiner politischen und wirtschaftlichen Ressourcen. Das Kurfürstentum Sachsen beispielsweise besaß eine ansehnliche Wirtschaftskraft mit seinen Bergbau- und anderen Industrieunternehmen sowie dem gewinnträchtigen Ost-West-Handel der Stadt Leipzig. Doch der Erwerb der polnischen Krone durch seine Herrscher in den Jahren 1733-63 wirkte der absolutistischen Staatsbildung im Inneren entgegen, während das spätere Bündnis Sachsens mit Napoleon dem Königreich 1815 schwere Gebietsverluste zufügte, nämlich zugunsten Preußens.

In ähnlicher Weise verpassten die Herrscher des Kurfürstentums Hannover beim Erwerb des englischen Thrones 1714 die Gelegenheit, einen stärkeren deutschen Staat zu schaffen. Bayern, lange Zeit ein mächtiges süddeutsches Fürstentum, sah sich im 18. Jahrhundert mit den Hindernissen eines relativen Niedergangs im städtisch-gewerblichen Bereich, einer zahlenmäßig kleinen Adelsklasse und einer reichen und konservativen katholischen Kirche konfrontiert. Seine bittere Rivalität mit Österreich, die es wiederholt in Bündnisse mit Frankreich lockte, forderte schwere militärische Verluste, die durch Bauernaufstände noch verschlimmert wurden. Obwohl Bayern im späten 18. Jahrhundert Gebiete erwarb, starrte es nicht von Waffen. Im protestantischen Württemberg unterstanden die Adligen als Reichsritter direkt dem Kaiser, was das Regieren des Landes einem von Bürgern beherrschten Ständeparlament überließ, das sehr argwöhnisch jede fürstliche Machterweiterung zu blockieren versuchte.

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