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Begründung eines Reiseantrags (20. April 1977)

Nachdem Manfred Krug 1976 den Protest der Schriftsteller gegen die Ausweisung des Liedermachers Wolf Biermann unterschrieben hatte, endete seine Karriere in der DDR. Die Schikanen durch die Behörden bewegten ihn dazu, einen Ausreiseantrag zu stellen, dem in erstaunlich kurzer Zeit stattgegeben wurde, so dass er im Juni 1977 mit seiner Familie in den Westen übersiedelte und dort seine Karriere erfolgreich wieder aufnehmen konnte.

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20. April 1977, Mittwoch


Eine benachbarte Freundin stutzt mit Kamm und Schere meinen Haarkranz, manchmal tropft mir eine Träne auf die Glatze. Sie hat bis heute nicht geglaubt, daß ich es tun würde. Sie will, daß ich ihr den Antrag vorlese:

Antrag auf Ausreise aus der DDR in die BRD

Mein Name ist Manfred Krug, ich bin Schauspieler und Sänger. Infolge der Scheidung meiner Eltern bin ich als Dreizehnjähriger aus Westdeutschland in die DDR gekommen, wo ich seither lebe. Ich bin verheiratet und habe 3 Kinder.

1956 lernte ich Wolf Biermann kennen, mit dem ich befreundet war und bin. 1965 erschien ein erster gegen Biermann gerichteter Artikel im NEUEN DEUTSCHLAND, gegen den ich polemisiert habe. Daraus erwuchsen mir Maßregelungen und die üblichen Nachteile. Ich gehörte nie zum »Reisekader«, durfte nie an einer der vielen in ferne Länder reisenden DEFA-Delegationen teilnehmen. Weitergehende Folgen sind mir damals jedoch nicht erwachsen.

Diesmal ist das anders: Wie bekannt, verfaßten nach der Biermann-Ausweisung 12 Schriftsteller einen Protest, den auch ich unterschrieb. Nachdem ich nicht bereit war, diese Unterschrift zurückzuziehen, hat sich mein Leben schlagartig verändert.

– Das Fernsehen der DDR schloß mich von jeder Mitarbeit aus. Das war hart, weil mir dadurch zwei unwiederbringliche Rollen in Erstverfilmungen verlorengegangen sind: der Ur-»Götz« und »Michael Kohlhaas«.
– »Die großen Erfolge«, eine fertige LP, wird nicht erscheinen.
– Der DEFA-Film »Feuer unter Deck« wird nicht Beitrag der SOMMERFILMTAGE 77 sein, mit der Begründung, ich hätte in Erfurt einen Genossen niedergeschlagen.
– Zwei Tage vor der Biermann-Ausweisung war mir durch das KOMITEE FÜR UNTERHALTUNGSKUNST DER DDR eine Tournee durch Westdeutschland angeboten worden. Diese Tournee findet nicht statt.
– Der VEB DEUTSCHE SCHALLPLATTEN hatte mir die Produktion einer Mark-Twain-Platte für das 1. Quartal '77 angeboten. Diese Produktion findet nicht statt.
– Im letzten Herbst habe ich auf eine schon genehmigte Reise nach Westdeutschland zur Hochzeit meines Bruders verzichtet, weil mich das KOMITEE FÜR UNTERHALTUNGSKUNST gebeten hatte, statt dessen an den TAGEN DER UNTERHALTUNGSKUNST DER DDR IN DER ČSSR teilzunehmen, was ich mit Erfolg tat. Das Versprechen des Kulturministeriums, die Reise später antreten zu dürfen, wurde nicht gehalten, mein Antrag nicht einmal beantwortet.
– Obwohl alle meine Jazzkonzerte in den vergangenen Jahren ausverkauft waren, gibt es keine neuen Angebote. Von 15 im Vorjahr zugesagten Konzerten sind 9 ersatzlos und unbegründet gestrichen worden.

Dies ist eine unvollständige Auswahl von Repressalien, von denen angekündigt worden war, daß es sie nicht geben würde.

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