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Warnung der Regierung vor neuem rassischen Hochmut (12. Dezember 1979)

Als Reaktion auf die wachsende Welle ausländerfeindlicher Stimmung bezeichnet der Ausländerbeauftragte der Bundesregierung, Heinz Kühn, die Bundesrepublik als „Einwanderungsland“. In dem folgenden Aufsatz, der in der links gerichteten Frankfurter Rundschau erschien, befürwortet er die Integration der in Deutschland lebenden Ausländer und warnt vor den schlimmen Folgen eines neuen Rassismus.

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Kühn warnt Deutsche vor einem neuen rassischen Hochmut
Bundesrepublik soll sich als Einwanderungsland ohne „Zwangsgermanisierung“ verstehen


„Für vier Millionen ausländische Arbeitnehmer und ihre Familien ist die Bundesrepublik zu einem Einwanderungsland geworden“. Diese „für viele schockierende Auffassung“ unterstrich der Ausländerbeauftragte der Bundesregierung in Bonn, Nordrhein-Westfalens ehemaliger Ministerpräsident Heinz Kühn, am Wochenende in Stuttgart auf einem Kongreß „Ausländische Kinder in der Bundesrepublik“, den die Nationale Kommission für das Internationale Jahr des Kindes veranstaltete. Kühn räumte ein, daß die Bundesrepublik sicherlich nicht ein Einwanderungsland im herkömmlichen Sinne sei wie etwa die USA oder Kanada. „Aber denen, die bei uns bleiben wollen, müssen wir uns mit allen Konsequenzen öffnen“, sagte Kühn vor rund 600 Vertretern von Ausländervereinigungen, Ministerien, Gewerkschaften, Kirchen, Wohlfahrtsverbänden sowie Lehrern, Erziehern und Sozialarbeitern.

Zum ersten Male seit der Überreichung seines „Memorandums“ zur Ausländerintegration an die Bundesregierung vor knapp zwei Monaten setzte sich Kühn öffentlich mit den zentralen Forderungen des „Memorandums“ und der bisher geäußerten Kritik auseinander. „Mit aller Kraft und Leidenschaft“, sagte Kühn, stehe er hinter dem „Memorandum“, in dem vor allem das kommunale Wahlrecht, die „Einbürgerung per Postkarte“ für die in der Bundesrepublik geborenen Ausländerkinder und die Einschulung in reguläre deutsche Schulklassen gefordert worden war.

Ausdrücklich betonte Kühn, daß er das „Memorandum“ in „absoluter Unabhängigkeit“ geschrieben habe. Bundeskanzler Helmut Schmidt, der Kühn zum Ausländerbeauftragten ernannt hatte, habe erkannt, daß das Problem von großer Bedeutung sei. Er habe von ihm erwartet, sagte Kühn in Stuttgart, daß er Vorschläge „in ungeschminkter Offenheit“ unterbreite. Das Bundeskabinett hat bisher – wie berichtet – einmal über das „Memorandum“ beraten, eine Stellungnahme dazu aber erst für das kommende Frühjahr angekündigt.

Zustimmung, erklärte Kühn, habe er bisher von den Kirchen und Wohlfahrtsverbänden erhalten. Manche Ablehnung sei aber so ausgefallen, als ob „die antisemitischen Vorurteile der dreißiger Jahre zum Vorbild genommen wurden für die antitürkischen Vorurteile der siebziger Jahre“. Nachdrücklich warnte Kühn vor einem erneuten deutschen „rassischen Hochmut“ und einer neuen Zweiklassengesellschaft, in der den deutschen Arbeitnehmern die „hochwertigen" Arbeitsplätze reserviert würden und den Ausländern die „niedrigen und schmutzigen“.

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