GHDI logo


Staatlich kontrollierter Urlaub in Ostdeutschland (23. Mai 1963)

Im Unterschied zur Reisefreiheit im Westen mussten die Ostdeutschen ihre Reisen im eigenen Land mit Hilfe der „Ferienschecks“ der Gewerkschaften oder staatlicher Reisebüros planen und durften nur in die angrenzenden osteuropäischen Staaten fahren. Diese Beschränkungen ließen den Frust der Bevölkerung über das Regime weiter anwachsen.

Druckfassung     Dokumenten-Liste vorheriges Dokument      nächstes Dokument

Seite 1 von 2


Alle wollen an die Ostsee reisen
Urlaubssorgen in der Sowjetzone – Das FDGB-Monopol


Prospektberge, Reiseanzeigen, Werbeplakate – während der Bundesbürger unter zahllosen Angeboten seine Urlaubsreise auswählen kann, ist es für den Mitteldeutschen noch immer ein großer Glücksfall, wenn er seine Ferien dort verbringen darf, wo er es gerne möchte. Viele Sowjetzonen-Einwohner haben sich auch in diesem Jahr damit abfinden müssen, während der Ferien zu Hause zu bleiben. Andere werden statt wie erhofft an die See ins Gebirge fahren. Und wieder andere suchen seit Monaten nach einer Reisemöglichkeit.

Die Mehrzahl der Urlaubsreisen wird vom kommunistischen „Freien Deutschen Gewerkschaftsbund" (FDGB) organisiert. Er gibt für das ganze Jahr 1963 nur 1,26 Millionen Ferienschecks aus, obwohl er 6,3 Millionen Mitglieder hat. Das bedeutet, daß nur etwa jedes 5. FDGB-Mitglied einen Ferienscheck erhält. Das sind rund sieben Prozent der Gesamtbevölkerung. Aber nicht alle glücklichen Scheckbesitzer können in den Sommermonaten fahren. Der FDGB verfügt nämlich nur über 400 eigene und 812 Vertragsheime mit mehr als
95 000 Plätzen während der Sommersaison, davon rund 30 000 angemietete Privatquartiere.

In den vergangenen Jahren kostete ein Ferienscheck für eine 13tägige FDGB-Reise (ohne Fahrtkosten) 30 Mark. Jetzt hat der FDGB seine Preise erhöht und differenziert, um nicht mehr so hohe Subventionen zahlen zu müssen. 1962 waren es 82 Millionen Mark. In diesem Jahr will der FDGB nur 60 Millionen Mark ausgeben. Die Preise richten sich jetzt nach der Reisezeit, der Qualität des Heimes und nach der Einkommenshöhe des Urlaubers. Nur in der unteren Einkommensstufe bei einem Brutto-Monatsverdienst bis zu 500 Mark bleibt es in der Vor- und Nachsaison in der Gruppe „Vertragshäuser mit Außenbetten“ bei 30 Mark. Wer in der Hauptsaison reisen will, und wer mehr verdient, muß für 13 Tage Unterkunft und Verpflegung bis zu 100 Mark zahlen.

Das ist noch immer verhältnismäßig billig. Jedoch sollte man an eine Urlaubsreise auf FDGB-Scheck keine westlichen Maßstäbe anlegen. Zwar ist das Essen in der Regel ausreichend und gut. Von allgemeinen Versorgungsschwierigkeiten bleiben die Urlauber allerdings nicht unberührt. Aber die Unterkünfte lassen viel zu wünschen übrig. Weit mehr als die Hälfte aller Ferienplätze des FDGB besteht aus einem Bett in einem Dreierzimmer. Sehr selten können ganze Familien mit dem FDGB-Feriendienst verreisen. In den Anweisungen des FDGB wird es als inopportun bezeichnet, Schecks an „nicht in Arbeit stehende Ehepartner“ zu vergeben.

erste Seite < vorherige Seite   |   nächste Seite > letzte Seite