GHDI logo


Ein Polizeibeamter beschreibt das Verhalten von Arbeitern in einer Hamburger Taverne (1898-1909)

Die folgenden Texte zeigen Arbeiter in ihrem eigenen gesellschaftlichen Milieu um die Jahrhundertwende. Die von einem Hamburger Polizisten gemeldeten Gespräche bezeugen das gespannte Verhältnis zwischen Arbeitern und staatlichen Behörden. Sie führen gleichzeitig die schwierige Lage der deutschen Arbeiterbewegung vor Augen: Staat und Arbeitgeber lehnten die Versuche der Arbeiter, Zugeständnisse über organisierte Vermittlungsinstanzen zu erreichen, ab. Dahingegen betrachteten die Arbeiter geschlossen agierende Gewerkschaften als einziges Mittel, um die Arbeitsbedingungen zu verändern. Die Unvereinbarkeit dieser beiden politischen Ziele bildete den entscheidenden inneren Konflikt der wilhelminischen Zeit.

Druckfassung     Dokumenten-Liste vorheriges Dokument      nächstes Dokument

Seite 1 von 3


I. 31. Oktober 1898

Von 9.45-10.45 Uhr wurde die Wirtschaft von Schweer, Rostocker Straße 9, besucht. Daselbst waren circa 14 Arbeiter anwesend, die an verschiedenen Tischen saßen, zum Teil Karten spielten und zum Teil sich unterhielten. Das Gespräch von einigen Arbeitern bezog sich unter anderem auch auf das Koalitionsrecht, indem ein Arbeiter sagte: «Den Angriff, welchen man gewillt ist, auf das Koalitionsrecht zu machen, könnte sich die Regierung ersparen, denn schon unter den heutigen Gesetzen ist den Gerichten ein so weiter Spielraum geboten, daß es wahrhaft keines neuen Gesetzesparagraphen bedarf, um die Arbeiter bei der Ausübung der ihnen durch das Gesetz gegebenen Rechte zu binden. Erst vor kurzer Zeit hat das Gericht wieder einmal ein Urteil, hergeführt durch den Tischlerstreik in der Süderstraße, gefällt, welches deutlich genug beweist, daß das Gericht sich den Teufel um das Recht der Arbeiter kümmert, wenn es heißt, der Sozialdemokratie einen Schlag zu versetzen. Solche Urteile sind nicht selten, denn jeder Streik hat Fälle aufzuweisen, wo Arbeiter, die in dem guten Glauben gehandelt haben, also im Sinne der ihnen durch die Gewerbeordnung anerkannten Rechte kämpften, aus diesem Anlaß mit hohen Gefängnisstrafen belegt wurden.»

Ein anderer Arbeiter sagte: «Unsere Gesetze sind sehr lückenhaft, denn der Richter hat soviel Anhaltspunkte, auf Grund deren er, wenn es ihm angemessen erscheint, jeden Angeklagten verurteilen kann. Wie sich die Sache zum Beispiel mit den Streikposten während des Tischlerstreiks verhielt, war es den Richtern eben nicht möglich, die Betreffenden auf Grund der Gewerbeordnung zu fassen; daher schafften sich die Richter einen Notparagraphen aus der Straßenordnung an, auf Grund dessen ja jeder Mensch verurteilt werden kann, der den Anordnungen von Polizeibeamten nicht nachkommt, auch wenn er zehnmal in seinem Rechte ist. Man kann aus diesem Fall zum Beispiel sehen, daß in unserem vielgepriesenen Rechtsstaat alles möglich ist. Was ein Gesetzesparagraph erlaubt, hebt der andere wieder auf, und überhaupt da, wo es gilt, die Arbeiter an ihrem Organisationswerk zu hindern, wird alles mögliche aufgeboten, um ihnen diese Arbeit zu erschweren.»

Ein dritter Arbeiter sagte: «Trotzdem der Regierung die Macht gegeben ist, durch die schon bestehenden Bestimmungen das Organisationswerk der Arbeiter zu beschränken, werden immer noch schärfere Gesetze geplant, die den Arbeiter, der sich an einem Streik beteiligt und unbedachte Äußerungen gegenüber den Streikbrechern führt, ins Zuchthaus bringen sollen. In England wird selbst vom Gericht ein Streikbrecher für einen Verräter angesehen und bestraft, Hier aber will man solche Leute schützen, um eben dem Arbeitgeber die Möglichkeit zu geben, trotz eines Streiks ruhig weiter arbeiten zu können, damit ihm von seinem Kapital nichts abgemacht wird.»


Quelle: Graumann, 31. Oktober 1898. Staatsarchiv der Freien und Hansestadt Hamburg (Signatur: S 2502-12).

erste Seite < vorherige Seite   |   nächste Seite > letzte Seite