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Information über die Stimmung der Bevölkerung zur Versorgung in Berlin und im Bezirk Potsdam (19. Mai 1961)

Wenige Monate vor der Abriegelung der innerdeutschen Grenze und dem Mauerbau in Berlin wird die Versorgungslage in Ost-Berlin und Potsdam in der Bevölkerung wieder scharf kritisiert. Nach der vorübergehenden Entspannung Ende der fünfziger Jahre sind nun selbst Grundnahrungsmittel teilweise nicht mehr erhältlich, weil die 1960 in kurzer Zeit überstürzt durchgeführte Zwangskollektivierung der Landwirtschaft zu schweren Versorgungsengpässen geführt hat. Hinzu kommt, daß in Berlin ostdeutsche Bauern die relativ offene Grenze nutzen können, um ihre Waren zu höheren Preisen im Westteil der Stadt zu verkaufen.

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Das Zentralkomitee der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands, Abt. Parteiorgane

Berlin, 19. Mai 1961



I. Aus zahlreichen Industriebetrieben und Wohngebieten Berlins nimmt die Kritik der Bevölkerung an den Mängeln der Versorgung mit Lebensmitteln und Industriewaren zu.

In zahlreichen HO, Konsum und Privatgeschäften gibt es am späten Nachmittag, vor allem freitags und sonnabends, kein Brot und teilweise keine Brötchen zu kaufen.

Dieser Mangel tritt nicht nur vor Feiertagen auf. In einigen Wohngebieten in Lichtenberg, Treptow, Köpenick, Friedrichshain, Pankow und Weißensee hält dieser Zustand teilweise schon wochenlang an.

Die Büros einiger KL haben sich mit dieser Frage beschäftigt. Das Büro der KL Prenzlauer Berg stellte hierzu fest, daß “die Kapazität des VEB Aktivist völlig ausgelastet ist und die Werktätigen des Betriebes ein großes Arbeitspensum für die Brotversorgung leisten. Die Engpässe sind aber dadurch eingetreten, daß die privaten Bäcker mehr und mehr die Brotbäckerei eingeschränkt bzw. eingestellt haben und vor allem nur noch feine Backwaren, Kuchen, Torten, Brötchen usw. herstellen.”

Die Einkaufs- und Liefergenossenschaft der Bäcker und Konditoren forderte in einem Rundschreiben v. 24.4.1961 alle Bäcker auf, für die Feiertage vom 1. Mai bis Pfingsten ausreichend Brot vorzubacken. Gleichzeitig wurde mitgeteilt, daß VEB Aktivist und die Konsum-Großbäckerei in der Lage seien, im Notfall den Bäckern Brot auszuliefern. Diese Maßnahme soll jedoch mit den beiden Betrieben nicht vereinbart worden sein. Nicht wenige Bäcker haben diesen Hinweis ausgenutzt.

Der 1. Kreissekretär im Prenzlauer Berg, Gen. Kropius, und der Vorsitzende des Rates des Stadtbezirkes, Gen. Hilbert, erklärten, sie hätten persönlich im Ausbaubetrieb festgestellt, daß tonnenweise Rippchen, Kniebeine und Schweineköpfe mit und ohne Backe herumliegen und nicht abgesetzt werden, weil der Handel teilweise die billigen Fleischsorten nicht abnimmt.

Die Butterversorgung wird durch zwei Erscheinungen gestört. Einmal ist in vielen Geschäften die Butter ranzig und zweitens wird ein Teil der Geschäfte, in denen die Käufer eingetragen sind, bereits nachmittags gegen 15.00 - 16.00 Uhr geschlossen, so daß viele keine Butter erhalten.

Gleichzeitig wiesen Genossen Mitarbeiter des Magistrats darauf hin, daß nach vorläufiger Übersicht in den Kundenlisten ca. 100 000 Personen mehr eingetragen seien, als Einwohner vorhanden sind.

In vielen Geschäften und Gaststätten gibt es zeitweise kein Bier, keine alkoholfreien Getränke, keinen Weißwein und keinen Branntwein. Verkäufer in Lichtenberg erklärten gegenüber Genossen: „Sie sollten eigentlich wissen, daß nur noch die größeren Gaststätten mit Weißwein beliefert werden.“

Im Hotel „Albrechtshof“, in dem sich u.a. westdeutsche und ausländische Gäste aufhalten, gab es 6 Tage lang weder Bier noch Brause zu kaufen. Bisher wird in dieser Angelegenheit lediglich auf Arbeitskräftemangel hingewiesen. Große Unzulänglichkeiten gibt es im Handel mit Industriewaren auf vielen Gebieten (z.B. Textilwaren, Konfektionen, Schuhe, Gläser usw.).

Die Waschmittelverknappung hat teilweise großen Unwillen bei der Bevölkerung hervorgerufen. In einem Seifengeschäft in Karlshorst sagte eine Kundin: Daß mit diesen Anzeichen auch der zweite Weltkrieg angefangen hätte.

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