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Die wirtschaftliche Lage von Familien an Berliner Beispielen (1946/47)

Die schlechte wirtschaftliche Lage der Deutschen zeigt sich im Winter 1946/47 exemplarisch in Berlin. Nur die Hälfte der dort befragten Familien hat ein Arbeitseinkommen, mit dem wenigstens Grundbedürfnisse gesichert werden können. Die anderen leben unterhalb des eigentlichen Existenzminimums oder müssen auf sonstige Hilfsquellen zurückgreifen. Die Preise vieler Waren und Gegenstände des täglichen Gebrauchs sind selbst im regulären Handel deutlich teurer als früher. Schwarzmarktpreise für Mangelwaren übersteigen die amtlichen Preise um das Hundertfache und sind von normalen Einkünften nicht zu bezahlen.

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1. Wie weit reichen die Einnahmen der Familien aus?

Versuchen wir festzustellen, wie weit Gehälter, Löhne und sonstige Einnahmequellen der Familien ausreichen, um ihre Lebenskosten zu bestreiten. Was haben Familienväter und Mütter selbst darüber mitgeteilt?

In rund 100 Fällen bezeichnen sie bis zum Herbst 1946 ihre Einkünfte als unzureichend. In den 100 anderen Fällen konnten die Familien „auskommen“, weil sie sich entweder auf die rationierten und kontrollierten Waren beschränkten, oder weil sie neben ihren Löhnen und Gehältern über Hilfsquellen verschiedener Art verfügten.

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Der Durchschnittslohn eines voll bezahlten Arbeiters oder das Monatsgehalt eines Angestellten oder eines Lehrers reicht in der Regel aus, um neben den rationierten Lebensmitteln die Miete, Gas und Licht zu bezahlen, die wenigen Zentner zugeteilte Kohle, das zugeteilte Holz zu kaufen, eine Zeitung zu abonnieren und die laufenden Ausgaben im Haushalt zu bestreiten. Auch einige Kinobesuche, das eine oder andere Gebrauchsstück auf Bezugschein lassen sich noch einschieben, oder, wenn es hoch kommt, 1 Brot oder 1 Pfund Mehl vom schwarzen Markt. Verdienen mehrere Familienmitglieder, so können zusätzliche Lebensmittel öfter erworben werden, falls nicht, wie im Winter 1946/47, die Verdiener durch wochenlange Stillegung ihrer Betriebe arbeitslos werden (vgl. Fam. M.) oder die Preise des schwarzen Marktes übermäßig anziehen (ein Brot z. B. statt 40 RM 60 RM kostet).

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Am günstigsten stehen sich heute vielfach Handwerker und Facharbeiter, weil sie durch ihre praktischen und oft vielseitigen Fertigkeiten hochbegehrte Leute sind, die durch Nebenverdienste ihre festen Einnahmen erheblich auffüllen können.

Sind Nebeneinnahmen nicht möglich, so müssen entweder noch Ersparnisse oder Tauschwerte vorhanden sein oder anderweitige Hilfsquellen (Geldunterstützungen durch Verwandte, Auslandspakete, ländliche Beziehungen usw.), um die Lebenshaltung der Familie wirksam zu verbessern.

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2. Die Verschlechterung der Wirtschaftslage im Winter 1946–47

Da Ersparnisse und noch vorhandene Tauschwerte schwinden, muß eine zunehmende Anzahl von Familien sich auf die rationierten Waren und geringfügige Ergänzungen beschränken. In einem Bericht im Frühjahr 1947 heißt es: „Die Einkünfte von Familie H. sind unverändert, trotzdem reichen die Einnahmen in diesem Winter schlechter aus als im vergangenen Winter (1945/46), da verschiedene Dinge hinzugekauft werden mußten und die Familie über keine Tauschwerte mehr verfügt. Zusätzliche Lebensmittel können aus Mangel an Geld nicht mehr beschafft werden. Was noch an Geld erübrigt werden konnte, ging auf Kohleanzünder und einige Lichte drauf“ (ein Kasten Kohleanzünder = 40 Tafeln kostete im Winter 1946/47 in Drogerien und anderen Geschäften 26 RM; im Spätsommer 1947 wurden mir die gleichen Kohleanzünder im gleichen Laden für 60 RM angeboten).

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