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Das Gesicht des Krieges – H. J. C. Grimmelshausens Der abentheuerliche Simplicissimus (1669)

Die moderne Vorstellung des Dreißigjährigen Kriegs (1618-1648) als drei Jahrzehnte erbarmungslosen Plünderns und Mordens herumziehender Truppen lässt sich im Wesentlichen auf einen Roman zurückführen, Der abenteuerliche Simplicissimus (1669) von Hans Jakob Christoffel von Grimmelshausen (1622-76). Es war der meistgelesene deutsche Roman des 17. Jahrhunderts und das einzige deutsche Werk der Zeit zwischen Luther und Lessing, das Aufnahme in den internationalen Literaturkanon fand. Der Roman beginnt mit der ländlichen Kindheit des Charakters Simplicissimus und folgt seiner Entwicklung zum Landstreicher während des Krieges. Während die erste Hälfte des Buches von Realismus geprägt ist, wird die spätere Handlung von Allegorien und Fantasie bestimmt.

Die folgenden Kapitel aus dem ersten Buch beschreiben die Misshandlung zumeist schutzloser Bauern durch Soldaten, insbesondere der Kavallerie. Grimmelshausens Beschreibung des „schwedischen Trunks“ und anderer Foltermethoden verleihen der Handlung Glaubwürdigkeit und bezeugen, dass Grimmelshausen den Krieg selbst erfahren hatte.

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DAS DRITTE KAPITEL

Simplex pfeift tapfer auf seiner Sackpfeifen,
Bis die Soldaten ihn mit sich fortschleifen.

DA fieng ich an, mit meiner Sackpfeife so gut Geschirr zu machen daß man den Krotten im Krautgarten damit hätte vergeben mögen, also daß ich vor dem Wolf, welcher mir stetig im Sinn lag mich sicher genug zu sein bedünkte; und weilen ich mich meiner Meuder erinnert (also heißen die Mütter im Spessert und am Vogelsberg, daß sie oft gesagt, sie besorge, die Hühner würden dermaleins von meinem Gesang sterben, als beliebte mir auch zu singen, damit das Remedium wider den Wolf desto kräftiger wäre, und zwar ein solch Lied, das ich von meiner Meuder selbst gelernet hatte:

Du sehr verachteter Baurenstand,
Bist doch der beste in dem Land,
Kein Mann dich gnugsam preisen kann,
Wann er dich nur recht siehet an.

Wie stünd es jetzund um die Welt,
Hätt Adam nicht gebaut das Feld?
Mit Hacken nährt sich anfangs der,
Von dem die Fürsten kommen her.

Es ist fast alles unter dir;
Ja was die Erde bringt herfür,
Wovon ernähret wird das Land,
Geht dir anfänglich durch die Hand.

Der Kaiser, den uns Gott gegebn,
Uns zu beschützen, muß doch lebn
Von deiner Hand; auch der Soldat,
Der dir doch zufügt manchen Schad.

Fleisch zu der Speis zeugst auf allein;
Von dir wird auch gebaut der Wein,
Dein Pflug der Erden tut so not,
Daß sie uns gibt genugsam Brod.

Die Erde wär ganz wild durchaus,
Wann du auf ihr nicht hieltest Haus,
Ganz traurig auf der Welt es stünd,
Wann man kein Bauersmann mehr fünd.

Drum bist du billig hoch zu ehrn,
Weil du uns alle tust ernährn.
Natur, die liebt dich selber auch,
Gott segnet deinen Baurenbrauch.

Vom bitterbösen Podagram
Hört man nicht, daß an Bauren kam,
Das doch den Adel bringt in Not,
Und manchen Reichen gar in Tod.

Der Hoffart bist du sehr befreit,
Absonderlich zu dieser Zeit,
Und daß sie auch nicht sei dein Herr,
So gibt dir Gott des Kreuzes mehr.

Ja der Soldaten böser Brauch
Dient gleichwohl dir zum Besten auch;
Daß Hochmut dich nicht nehme ein,
Sagt er: Dein Hab und Gut ist mein.

Bis hieher und nicht weiter kam ich mit meinem lieblichtönendem Gesang, dann ich ward gleichsam in einem Augenblick von einem Trupp Courassierer samt meiner Herde Schafen umgeben, welche im großen Wald verirret gewesen und durch meine Musik und Hirtengeschrei wieder waren zurecht gebracht worden.

»Hoho«, gedachte ich, »dies seind die rechten Kauzen! dies seind die vierbeinigte Schelmen und Diebe, davon dir dein Knän sagte«; dann ich sahe anfänglich Roß und Mann (wie hiebevor die Amerikaner die spanische Kavallerie) vor eine einzige Kreatur an und vermeinete nicht anders, als es müßten Wölfe sein, wollte derowegen diesen schröcklichen Centauris den Hundssprung weisen und sie wieder abschaffen. Ich hatte aber zu solchem Ende meine Sackpfeife kaum aufgeblasen, da ertappte mich einer aus ihnen beim Flügel und schleuderte mich so ungestüm auf ein leer Baurenpferd, so sie neben andern mehr erbeutet hatten, daß ich auf der andern Seite wieder herab auf meine liebe Sackpfeife fall mußte, welche so erbärmlich anfieng zu schreien und einen so kläglichen Laut von sich zu geben, als wann sie alle Welt zur Barmherzigkeit hätte bewegen wollen; aber es half nichts, wiewohl sie den letzten Atem nicht sparete, mein Unfäll zu beklagen; ich mußte einmal wieder zu Pferd, Gott geb, was meine Sackpfeife sang oder sagte. Und was mich zum meisten verdroß, war dieses, daß die Reuter vorgaben, ich hätte der Sackpfeife im Fallen weh getan, darum sie dann so ketzerlich geschrieen hätte. Also gieng meine Mähr mir dahin in einem stetigen Trab, wie das Primum mobile, bis in meines Knäns Hof. Wunderseltsame Trauben und kauderwelsche Grillen stiegen mir damals ins Hirn, dann ich bildete mir ein, weil ich auf einem solchen Tier säße, dergleichen ich niemals gesehen hatte, so würde ich auch in einen eisernen Kerl vermethomophosiert werden, in dem ich diejenigen, die mich fortführten, auch ganz eisern sahe. Weil aber solche Verwandlung nicht folgte, kamen mir andere Grillen in meinen albern Kopf: ich gedachte, diese fremde Dinger wären nur zu dem Ende da, mir die Schafe helfen heimzuttreiben, sintemal keiner von ihnen keines hinwegfraß, sondern alle so einhellig, und zwar des geraden Wegs, in meines Knäns Hof zueileten. Derowegen sahe ich mich fleißig nach meinem Knän um, ob er und mein Meuder uns nicht bald entgegengehen und uns willkommen sein heißen wollten. Aber vergebens, er und meine Meuder samt unserm Ursele, welches meines Knäens einzige und liebste Tochter war, hatten die Hintertür getroffen, das Reißaus gespielt und wolten dieser heillosen Gäste nicht erwarten.

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