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Beschwerden und Forderungen – Thauer und Rettenberg (Tirol) (15. Mai 1525)

Das folgende Dokument enthält Auszüge aus einer an Erzherzog Ferdinand (1503-64), den jüngeren Bruder Kaiser Karls und Herrscher über Österreich, gerichteten Petition seiner Tiroler Untertanen. In seiner starken Betonung der Religion unterscheidet sich dieser Text von den klassischen Beschwerdeschriften der Bauern. Während das Recht der Gemeinde, Pfarrer einzusetzen, eher traditionell anmutet, hat der Ruf nach „dem heiligen, göttlichen, wahren Wort Gottes“ als Grundlage christlicher Gemeinschaft einen eindeutig evangelikalen Ton.

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Item zum ersten, nachdem geschrieben steht, dass der Mensch nicht allein lebt des leiblichen Brotes, sondern auch von jedem Wort, das aus dem Munde Gottes geht, so meinen wir, dass der christlichen Gemeinde an demselben [Wort Gottes] am höchsten und meisten gelegen ist. Nachdem aber das heilige göttliche Wort bisher mit Menschenleere dermassen verdunkelt worden ist, dass wir dadurch in der Erlangung unserer Seligkeit in grosse Gefahr gekommen sind, weil aber jetzt solches göttliche Wort aus dem gnädigen Willen Gottes lauter, klar und unvermischt an den Tag kommt, und diejenigen, so – dazu von Gott berufen – demselben anhängen wollen, nicht allein verfolgt, sondern auch aus dem ungleichen, gottlosen Verstand, den die eigennützigen Prediger dem Volk dagegen einführen, in Irrsal und dahingewiesen werden, dass der einfältige Mensch nicht weiss, welchem er anhängen und nachfolgen soll und also dadurch in Konspiration und zur Aufruhr wider seinen Willen [dass er nicht weiss, was er tun oder lassen soll] bewegt wird. Demselben zuvorzukommen und damit der Kern [das Korn] des göttlichen Wortes aus dem Unkraut der Menschenlehren herausgerissen, auch das gemeine Volk, das dadurch und durch dergleichen zur Empörung gebracht und in Irrsal geführt wird, wiederum zu Friede und Ruhe gebracht werde, ist unsere untertänigste Bitte, Euere Fürstliche Durchlaucht, als ein christlicher Fürst, wollen gnädiglich bewilligen und zulassen, dass wir allenthalben für unsere Kirchen nach gelehrten, gottesfürchtigen Männern suchen, die uns ein solches heiliges, göttliches, wahres Wort Gottes lauter, klar und unvermischt und mit keiner anderen Lehre verkünden, sondern die allein dieser [neuen] Lehre anhängig, gleichförmig und gemäss seien, alles zu der Liebe Gottes und der des Nächsten, auch zu Gehorsam unserer, von Gott eingesetzten Obrigkeit, zur Beilegung dieses Aufruhrs, auch zur Bestrafung der gemeinen Laster in allen Ständen. [Wir tun das in] der Hoffnung, wenn solches geschehe, wozu alle christlichen Kreaturen zu helfen schuldig sind, [wozu sie auch] Leib, Leben und alles Vermögen zu lassen [haben], der allmächtige, ewige Gott werde damit seinen göttlichen Zorn, indem wir in der Tat durch unsere Sünden stehen, wieder von uns abwenden und uns allen einen klaren christlichen Verstand geben und verleihen, künftig in seinem göttlichen Willen, in seinen Satzungen und Geboten zu leben. Wir sind uns bei aller Untertänigkeit sicher, Eure Fürstliche Durchlaucht als ein christlicher Fürst, der dazu von Gott verordnet ist, werde gnädig geneigt und begierig sein dazu zu helfen, uns also von diesen Menschenlehren zu befreien.

Wir bitten auch ganz untertänig, nachdem wir vernehmen, dass etliche christliche Männer wegen des heiligen Evangeliums und weil sie dieser Lehre anhängen gefangen gehalten werden, Eure Fürstliche Durchlaucht als ein christlicher Fürst werde dieselben aus ihrer Gefängnis ohne Entgelt gnädig befreien, auch die vertriebenen Prediger des Evangeliums wieder in diesem Land wohnen und predigen lassen, und in Zukunft nicht gestatten, geistliche oder weltliche Personen des heiligen Evangeliums wegen und der dazugehörenden Lehre wegen beleidigen und beschweren zu lassen, es wäre denn, dass bei denselben oder anderen Personen der Verdacht eines hochgerichtlichen Vergehens vorliege; in einem solchen Fall mag alle Zeit, was sich gebührt und was recht ist, getan werden. Und weil bekannt ist, was aus den Handlungen der Geistlichen [soweit sie über weltliche Obrigkeit verfügen] entstanden ist, so ist unser Begehr, dass derselben [Geistlichkeit] ihre weltliche Gewalt genommen werde und dass mit ihnen verhandelt werde, dass sie ihre Sachen, zu denen sie von Gott verordnet sind, erfüllen und dass auch uns gnädiglich vergönnt und uns Gewalt gegeben werde, dass wir unsere Pfarrer und Prediger selbst nach Rat der verständigsten Pfarrleute ohne jede Irrung setzen und entsetzen mögen. [ . . . ]



Quelle: Hermann Wopfner, Hg., Quellen zur Geschichte des Bauernkrieges in Deutschtirol 1525. Teil I. Innsbruck, 1908, S. 70-78. Überarbeitet von Peter Blickle.

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