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Ulrich Scheuner, Bemerkungen zum rechtlichen Status der „Displaced Persons” in Deutschland (14./15. Dezember 1948)

Der konservative Staatsrechtler Ulrich Scheuner spricht sich im Dezember 1948 als Gutachter des Länderrates dagegen aus, den ausländischen Flüchtlingen auf deutschem Boden den Status einer nationalen Minderheit zu gewähren. Scheuner plädiert dafür, den rechtlichen Sonderstatus der Flüchtlinge zu beenden und die Zuständigkeit für sie uneingeschränkt den deutschen Behörden zu übertragen. Zwar könne Deutschland angesichts der Belastung durch die Kriegsfolgen kein Interesse daran haben, Ausländer in großer Zahl aufzunehmen, zumal viele von ihnen erst nach Kriegsende nach Deutschland gekommen seien, aber wenn sie bleiben würden, müsse ihre völlige Gleichstellung mit den Deutschen erfolgen.

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Ulrich Scheuner, Bemerkungen zum rechtlichen Status der „Displaced Persons“ in Deutschland

Stuttgart, 14./15. Dezember 1948


I.
Es kann ohne weiteres davon ausgegangen werden, daß der gegenwärtige Zustand, in dem die DP eine Art exterritorialer Stellung in Deutschland einnehmen und damit mehr als die ehemalige Stellung der Ausländer in China an Sonderrechten genießen, auf die Dauer nicht befriedigt und zu Reibungen führen muß. Der Gedanke, statt dessen zu einem Status dieser Ausländer zu gelangen, der auf der einen Seite ihre berechtigten Interessen und Wünsche sichert, auf der anderen sie grundsätzlich der Zuständigkeit der deutschen Behörden unterstellt, ist richtig. Es ist ferner der Ansicht des Gutachtens Buchardt zuzustimmen, daß die Einstellung der Öffentlichkeit in Deutschland in dieser ganzen Frage sehr zu wünschen übrig läßt. Mit vollem Recht wird betont, daß eine tragbare Lösung eine Aufklärung durch die deutsche Presse usw. voraussetzt, die der vielfach recht primitiven Ausländerfeindlichkeit in Deutschland entgegentritt und das Verständnis für die von beiden Seiten unerwünschte aber unvermeidliche Situation des zeitweiligen Zusammenlebens schafft.

Es ist ebenfalls begrüßenswert, wenn von dem Gutachten der Vorschlag gemacht wird, deutscherseits Pläne für eine künftige Lösung zu entwickeln, die ein besseres Zusammenleben der DP und der deutschen Bevölkerung herbeiführt. Die dargelegten Gedanken, den DP den Status einer nationalen Minderheit mit Kulturautonomie zu geben, werden aber dem besonderen Problem nicht gerecht.


II.
Gegen die vorgeschlagene Lösung sprechen folgende Gesichtspunkte:

1. Es gehört zum Wesen einer nationalen Minderheit, daß sie eine dauernde Bevölkerung auf dem Boden des betr. Landes bildet, die auch dessen Staatsangehörigkeit besitzt. Denn nicht nur staatsrechtlich kann allein dann von einem vollen Genuß der Gleichberechtigung und der Gewähr der grundlegenden individuellen Rechte die Rede sein, auch politisch und moralisch ist ein Anspruch auf eine Anerkennung der kulturellen und ggf. religiösen Eigenart erst dann begründet, wenn es sich um eine eingesessene Bevölkerung handelt. Daß ein Ausländer in diesen Fragen eine andere Stellung einnimmt, ist selbstverständlich. Das Gutachten B. erwähnt diese beiden Gesichtspunkte - Ansässigkeit auf die Dauer und Staatsangehörigkeit (Seite 8), aber es zieht daraus keine Folgerungen. Der Hinweis auf die Minoritätenschutzverträge nach 1919 muß schon umsomehr fehlschlagen, weil an diesen Verträgen die betr. Staaten ausdrücklich verpflichtet wurden, der ganzen übernommenen Bevölkerung einschl. der Minderheiten unterschiedslos die Staatsangehörigkeit zu gewähren. Das Minderheitenstatut hängt also wesensmäßig mit der vollen Inkorporation dieser betr. Personengruppe in den Verband des Staates zusammen.

2. Angesichts seiner Übervölkerung hat Deutschland auch keinen Anlaß, größere Bevölkerungsmengen fremder Nationalität aufzunehmen. Es ist also an deren späterer Auswanderung interessiert. Auch dieser Gesichtspunkt legt es nahe, den Ausländerstatus der DP klar aufrechtzuerhalten. Es muß sowieso befürchtet werden, daß auch nach Durchführung der im Gange befindlichen Abwanderung der arbeitsfähigen DP eine Masse älterer weniger verwendungsfähiger Personen in Deutschland zurückbleibt. Bei solchen handelte es sich dann um eine ganz andere Frage: Soll ihnen auf die Dauer ein Status als bleibende Bewohner Deutschlands, also zunächst als durch langen Aufenthalt privilegierte Ausländer ggf. später als Staatsbürger gegeben werden? Selbst wenn man eine solche Lösung ins Auge faßt - die für einen dauernd nicht abschiebbaren Teil der DP vielleicht sich später notwendig ergeben wird - so handelt es sich um Einbürgerung von Ausländern, gegenwärtig also um einen Sonderstatus von Ausländern. Das ist es, worauf man zusteuern muß.

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