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Die weise Frau – das geschlechtsspezifische Ideal der ehelichen Tugend (ca. 1525)

Im 16. Jahrhundert lebten Frauen unter der Autorität der Männer in ihrem Leben. Sofern sie nicht in Gemeinschaft mit anderen Frauen lebte – eine Praxis, die in den katholischen Territorien die protestantische Reformation überdauerte, jedoch auch in einigen protestantischen Territorien in Form lutherischer (und einiger katholischer) Konvente existierte – ging die Frau von der Vormundschaft ihres Vaters in die ihres Mannes über. Die allgemeinen Bedingungen der Unterordnung der Frau unter den Mann waren jedoch sowohl im Ideal als auch in der Praxis relativ, und es gibt zahlreiche Zeugnisse tatsächlicher Partnerschaften zwischen Ehepartnern. Die zu dieser Zeit florierende Literatur über die Voraussetzungen einer glücklichen Ehe und tugendhafte Verhaltensregeln wandte sich an beide Geschlechter, wenn auch in unterschiedlicher Weise. Während viele Erfahrungen wie z.B. Hunger, Krankheit und Tod für beide Geschlechter gleich waren, unterschieden sich in anderen Lebensbereichen die Regeln und moralischen Lehren je nach Geschlecht. Dieser Einblattdruck Anton Woensams (1500-41) von ca. 1525 stellt die Eigenschaften einer klugen Frau dar und legt die Verhaltensregeln einer tugendhaften Ehefrau fest. Bescheidenheit, Frömmigkeit, Loyalität und Barmherzigkeit zählen zu den Tugenden, die hier vorgeschrieben werden.

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Dise Figur sol man anschawen.
Die bedewtet ein weyse Frawen.
Welliche Fraw darnach thut
Die ist an ehren wol behut.

[Augen]
Ich sehe scharff gleich als der Falck
Erkenn die frumen bey dem schalck
Wem sein sin nach meinen eren stat
Da hüt ich mich vor fru und spat

[Ohren]
Das solle mich gar nit verdriessen
Mein oren die wil ich auffschliessen
Das sy thun hören Gottes wort
Das banget frummen hie und dort.

[rechte Hand]
Hoffart diewil ich auch verschmehen.
Vnnd wil in disen spiegel sehen.
Daran uns Gott erarnet hat
Das thut ir Frawen ist mein rat.

[Mund]
Von gold trag ich vor meinem mundt
Ein Schloß tag nach und alle stundt
Auff das er vnnutz red vermeyd
Und niemand nit sein Eer abschneyd.

[Brust]
Auch so trag ich ein stedten mut
Gleich wie die Türtel taube thut
Gen dem der mein Petgnoß sol sein
Nit an jm prech die trewe man.

[Taille]
Mit schlangen gürt ich meinen leyb.
Also sol thün ein bider weyb.
Die sich vor schandt gifft huten wil.
Vor böser lieb unnd affenn spil.

[linke Hand]
Den armen sol ich geren geben
Da mit erwerb das ewig leben
Dann ich nit anderst finden kann
Das ich anders mög bringen darvan

[Füsse]
Auff pferdes füssen sol ich geen
Das ich in Eeren fest kan steen
Auff das ich nicht in sunde fall
Ist suß / wirt bitte als ein gall.

Welche Fraw hat ein solchen sitten
Die wirdt an Eeren nit verschnitten
Mag auch verdienen sicherleich
Von Gott sein Ewig Himelreich.



Quelle: Max Geisberg, The German Single-Leaf Woodcut: 1500-1550, neu bearbeitet und herausgegeben von Walter L. Strauss. 4 Bde. New York: Hacker Art Books, 1974, Bd. 4, S. 1511.

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