GHDI logo


„Die Erziehung des lippischen Landsmanns” (1789)

Dieser Text enthält eine merkwürdige Mischung aus Beschreibung (des Lebens junger und heranwachsender Dorfbewohner, besonders derer, denen es nicht bestimmt ist, den familiären Hof zu erben) und Vorschreibung (insbesondere normativer täglicher Arbeitsleistung). Aus seiner rhetorischen Form lässt sich schließen, dass der Text als Ansprache oder Predigt an ein dörfliches Publikum intendiert war. Gleichzeitig gab es der gebildeten Leserschaft eine Zusammenfassung dessen, was die durch gesellschaftliche Instanzen definierte Gewohnheit den einfachen Leuten im Alltag vorschrieb.

Druckfassung     Dokumenten-Liste vorheriges Dokument      nächstes Dokument

Seite 1 von 6


Die Erziehung des lippischen Landmanns


Es wird nicht unwichtig vielmehr für Philosophen, Volkslehrer und Oeconomen nützlich seyn; den Mann und dessen Erziehung näher kennen zu lernen, der [ . . . ] täglich von früh Morgens an bis in die späte Nacht mit gemeinnützlichen Arbeiten sich beschäftigt, durch den die Erndten vervielfältigt werden, der unabläßig die Zuzucht des Viehes besorgt, und sich die Vermehrung desselben angelegen seyn läßt.

So wie die allgemeine Naturgeschichte dann erst lehrreich und nützlich wurde, wie man Lebensart und Charakter einzelner Thiere sorgfältiger beobachtete und emsiger studierte; so kann auch Menschenkenntniß und Menschenliebe befördert werden, wenn man statt allgemeinen Formeln und Gemeinörter individuelle Züge und Beobachtungen von Menschen sammelt, die mit uns unter einem Himmel gebohren sind, und die den zahlreichsten Theil der Nation ausmachen.

Die hier nachfolgende Beschreibung der Erziehung und Geschäfte des Lippischen Landmanns von der Kindheit an bis ins männliche Alter kann nebenher dazu nützen, Arbeitsamkeit, Fleiß und Industrie bekannter zu machen, damit es den Unwissenden nicht an Beyspielen zur Nachahmung fehle:

Gleich nach seiner Geburt hat dieser Zögling der Natur, alle die Vortheile, die zur Entwickelung eines Körpers gehören der beyzunehmenden Jahren allen Abwechslungen einer feuchten Luft und rauhen Witterung ausgesetzt seyn, und zu schweren Arbeiten ausgebildet werden soll. An dem Busen seiner Mutter empfängt er die stärkende Milch [ . . . ]

So wie Wasser aus einer frischen Quelle mehr stärkt als das aus einem stillstehenden Teiche, so muß auch seine erste Nahrung zur Gesundheit und zum Wachsthum des Kindes ungemein zuträglich seyn.

erste Seite < vorherige Seite   |   nächste Seite > letzte Seite