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Friedrich List: Auszug aus Das Nationale System der politischen Oekonomie (1841)

In diesem Auszug aus Das Nationale System der politischen Oekonomie (1841) behandelt Nationalökonom Friedrich List (1789-1846) die Stufen ökonomischer Entwicklung, den Unterschied zwischen einer kosmopolitischen und einer nationalistischen Perspektive der Ökonomie und die Bedeutung von Schutzzöllen. Als Kritiker des Freihandelsbefürworters Adam Smith und seiner Nachfolger argumentierte List, dass weniger entwickelte Volkswirtschaften wie die Deutschlands Schutzzölle auf Fertigerzeugnisse benötigten, um das Wachstum ihrer aufstrebenden Industrie nicht zu gefährden. Lists ausdrücklich nationale Lesart der Wirtschaftslehre forderte Beschränkungen des internationalen Handels, plädierte aber für Freihandel und Gewerbefreiheit innerhalb der deutschen Länder.

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Zu größerer Klarheit läßt er hier eine Uebersicht der Hauptresultate seiner Forschungen und Reflexionen folgen:

Einigung der individuellen Kräfte zu Verfolgung gemeinsamer Zwecke ist das mächtigste Mittel zu Bewirkung der Glückseligkeit der Individuen. Allein und getrennt von seinen Mitmenschen, ist das Individuum schwach und hülflos. Je größer die Zahl derer ist, mit welchen es in gesellschaftlicher Verbindung steht, je vollkommener die Einigung, desto größer und vollkommener das Produkt, die geistige und körperliche Wohlfahrt der Individuen.

Die höchste, zur Zeit realisirte Einigung der Individuen unter dem Rechtsgesetz ist die des Staats und der Nation; die höchste gedenkbare Vereinigung ist die der gesammten Menschheit. Gleichwie das Individuum im Staat und in der Nation seine individuellen Zwecke in einem viel höheren Grade zu erreichen vermag, als wenn es allein stände, so würden alle Nationen ihre Zwecke in einem viel höheren Grade erreichen, wären sie durch das Rechtsgesetz, den ewigen Frieden und den freien Verkehr mit einander verbunden.

Die Natur selbst drängt die Nationen allmählich zu dieser höchsten Vereinigung, indem sie durch die Verschiedenheit des Klima's, des Bodens und der Produkte sie zum Tausch, und durch Uebervölkerung und Ueberfluß an Capital und Talenten zur Auswanderung und Colonisirung antreibt. Der internationale Handel, indem er durch Hervorrufung neuer Bedürfnisse zur Thätigkeit und Kraftanstrengung anreizt und neue Ideen, Erfindungen und Kräfte von einer Nation auf die andere überträgt, ist einer der mächtigsten Hebel der Civilisation und des Nationalwohlstandes.

Zur Zeit aber ist die durch den internationalen Handel entstehende Einigung der Nationen eine noch sehr unvollkommene, denn sie wird unterbrochen oder doch geschwächt durch den Krieg oder durch egoistische Maßregeln einzelner Nationen.

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