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Rechtfertigung einer Gewerkschaft anlässlich der Einführung der 40-Stunden-Woche (1966)

Als Speerspitze der organisierten Arbeitnehmer verfocht die Gewerkschaft der Metallarbeiter (IG Metall) die Reduzierung der Arbeitswoche auf 40 Stunden. Ein solcher Schritt würde die Arbeiter gesundheitlich stärken und produktiver machen, da mehr Freizeit eine bessere Erholung vom Arbeitsalltag in der modernen Industriewirtschaft bedeute.

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Die 40-Stunden-Arbeitswoche ist ab 1. Juli 1966 für die Metallindustrie der Bundesrepublik Tatsache. Alle Versuche der Arbeitgeber, sowohl des Gesamtverbandes Metallindustrieller Arbeitgeber wie auch der Bundesvereinigung der Arbeitgeberverbände, eine weitere Hinausschiebung der seit sechs Jahren tarifvertraglich vereinbarten Arbeitszeitverkürzung zu erreichen, sind an der eindeutigen Haltung der IG Metall gescheitert.

Die Arbeitgeber hatten geltend zu machen versucht, eine tarifvertragliche Verkürzung der Arbeitszeit erhöhe in untragbarer Weise die Lohnkosten und verschlechtere die Wirtschaftslage der Metallindustrie, vor allem im Vergleich zu den Ländern, mit denen die Industrie der Bundesrepublik auf den internationalen Märkten im Wettbewerb steht. Aber selbst die von «Gesamtmetall» vorgelegte vergleichende Darstellung über die tarifvertragliche bzw. gesetzliche Wochenarbeitszeit beweist: In den wichtigsten Industrieländern des europäischen Wirtschaftsbereichs besteht bereits jetzt die 40stündige Wochenarbeitszeit.

Das gilt vor allem für Großbritannien und Frankreich, die nach der Bundesrepublik Deutschland die größten metallverarbeitenden Industrienationen Europas sind. In den USA ist die Arbeitszeit noch kürzer als in der Bundesrepublik. Nur in einigen kleineren europäischen Staaten gilt zur Zeit noch eine längere Arbeitszeit. [ . . . ]

Die industrielle Produktion der Metallverarbeitung ist in jedem der zehn Jahre seit 1956 gegenüber dem Vorjahr angestiegen. Kennzeichnenderweise stieg die Produktion im Jahr 1964, in dem die tarifvertragliche Arbeitszeit von vorher 42½ auf 41¼ Wochenarbeitsstunden gesenkt wurde, gegenüber dem Vorjahr um 7,9%. Dieses Jahr wies auch mit den stärksten Anstieg der Arbeitsproduktivität – der Leistung pro Arbeitsstunde – um 7,4 % auf. Diese nüchternen Zahlen hat die Wirtschaftsabteilung der IG Metall sorgfältig errechnet. Von Arbeitgeberseite konnte nicht einmal der Versuch unternommen werden, diese Feststellungen zu bezweifeln.

Kürzere Arbeitszeit ist für den Arbeitnehmer ebenso wichtig wie ein höherer Lohn. Nur durch kürzere Arbeitszeit kann sich nämlich der Arbeitnehmer seine Arbeitskraft auf die Dauer erhalten. Die moderne Industriewirtschaft verlangt während der Arbeitszeit einen viel stärkeren Kräfteverschleiß des Arbeitenden als frühere Produktionsmethoden. Dem stärkeren Kräfteverschleiß muß deshalb eine größere Freizeit entsprechen.

Die Frühinvalidität hat während der letzten Jahre in erschreckendem Maße zugenommen. 1,6 Millionen Renten werden zur Zeit bereits wegen Berufs- und Erwerbsunfähigkeit der Versicherten gezahlt, ohne daß diese das 65. Lebensjahr erreicht hätten. Die Zahl der Frührentner steigt weiter an. Jährlich müssen wegen Berufs- und Erwerbsunfähigkeit vorzeitig 300000 Arbeitnehmer in einem Durchschnittsalter von 57 Jahren aus dem Erwerbsleben ausscheiden. Diese Frühinvalidität trifft nicht nur den einzelnen als ein persönlich hartes Schicksal, sondern mindert zugleich die volkswirtschaftliche Leistungsfähigkeit und trägt damit zu stärkeren Kostenbelastungen für die Betriebe, die Rentenversicherungen und den Bundeshaushalt bei. Nicht zuletzt um der Menschen willen mußte die IG Metall darauf bestehen, daß die vor sechs Jahren schon vereinbarte Kürzung der Arbeitszeit auf 40 Wochenstunden endlich Wirklichkeit wird. Dieses Ziel hat die IG Metall gegen stärksten Widerstand im Interesse der arbeitenden Menschen erreicht.




Quelle: „Mehr Freizeit – Mehr Freiheit. Ab 1. Juli ist die 40-Stunden-Woche in der metallverarbeitenden Industrie Wirklichkeit“, Metall. Zeitung der IG Metall, Nr. 3 (1966), S. 8f.; abgedruckt in Christoph Kleßmann und Georg Wagner, Hg., Das gespaltene Land. Leben in Deutschland 1945-1990. München, 1993, S. 190-91.

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