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François Mitterrand zur Frage der Wiedervereinigung (27. Juli 1989)

Nach dem Besuch des sowjetischen Generalsekretärs der KPdSU, Michail S. Gorbatschow, in Paris äußerte sich der französische Staatspräsident zur Frage der deutschen Wiedervereinigung und warnte vor voreiligen Schlüssen. Sowohl die Interessen beider deutscher Staaten, der Westmächte und der Sowjetunion müssten berücksichtigt werden.

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Frage: Herr Präsident, wie könnte sich dieses „gemeinsame Haus“, dieses Europa auf Deutschland auswirken? Welche Zukunftsvision haben Sie von Deutschland?

Antwort: Ihre Frage ist zu weit gefaßt, als daß ich sie so ohne weiteres beantworten könnte.

Frage: Glauben Sie, daß ein Wiedervereinigungsversuch unternommen werden wird?

Antwort: Ganz gewiß. Die Wiedervereinigung ist ein Anliegen aller Deutschen. Und das kann man gut verstehen. Dieses Problem, das seit fünfundvierzig Jahren auf eine Lösung wartet, fällt mit der zunehmenden Stärke Deutschlands immer mehr ins Gewicht. In der Wirtschaft ist diese Stärke bereits erwiesen; in der Politik ist sie im Kommen.

Frage: Könnte die Bundesrepublik in die Versuchung geraten, mehr mit dem Osten als mit den EG-Ländern zu liebäugeln?

Antwort: Gleichsam umzukippen? Nein, das glaube ich nicht. Daß die Bundesrepublik bessere Beziehungen zur Sowjetunion und zu den anderen Ostländern unterhalten möchte, ist wohl angesichts ihrer geographischen Lage und ihrer Geschichte nicht verwunderlich. Und wer wollte ihr das auch schon verübeln? Aber Deutschland hat kein Interesse daran, das Lager zu wechseln und seine Europapolitik für eine Wiedervereinigung zu opfern, zu der die Sowjetunion ohnehin nicht bereit ist. Und ich glaube, es denkt auch gar nicht daran.

Frage: Haben Sie mit Staatspräsident Gorbatschow darüber gesprochen?

Antwort: Die Wiedervereinigung ist in meinen Augen ein berechtigtes Anliegen der Deutschen. Es kann aber nur auf friedliche und demokratische Weise verwirklicht werden.

Frage: Aber Sie meinen, das ändere nichts an dem sowjetischen Veto?

Antwort: Ich weiß nicht, ob ich das ein Veto nennen würde. Sehen Sie sich dazu einmal die Pressemitteilung nach dem Gespräch zwischen Staatspräsident Gorbatschow und Bundeskanzler Kohl in Bonn an. Ich habe nicht den Eindruck, daß sich die Außenpolitik der beiden Länder wegen des verbesserten Klimas grundsätzlich ändern wird.

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