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Katholische Kirche, Abtreibung und Wahlkampf (31. August 1972)

Das Zentralkomitee der Katholischen Kirche kritisiert den fortschreitenden sittlichen und rechtlichen Verfall der Gesellschaft, dem der Staat nicht genügend entgegenstehen würde und verbindet dies mit seiner Ablehnung der Fristenlösung. Da Neuwahlen bevorstehen, kritisieren die Regierungsparteien dies als Einmischung in politische Angelegenheiten zugunsten von CDU/CSU, die den Gesetzesvorschlag ablehnen.

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ZK der Deutschen Katholiken warnt vor dirigistischen Entwicklungen im Zusammenhang mit Bundestagsneuwahl; Kritik von SPD und FDP


Der Geschäftsführende Ausschuß des Zentralkomitees der Deutschen Katholiken unter Vorsitz des rheinland-pfälzischen Kultusministers Bernhard Vogel (CDU) gab laut Die Welt am 31. August aus Anlaß der vorfristigen Neuwahlen zum Deutschen Bundestag eine Erklärung ab, in der es u. a. heißt:

»Die Bürger der BRD sollen noch in diesem Jahr über die künftige Zusammensetzung des Deutschen Bundestages entscheiden. Der außerordentliche Wahltermin entspricht der ernsten Situation unseres Landes.
[ . . . ] Das ZK der Deutschen Katholiken wendet sich an die Öffentlichkeit und bittet alle, im Wahlkampf und bei der Wahlentscheidung entsprechend der kritischen Situation unseres Landes zu handeln. Die Bindung unseres Volkes an Recht und sittliche Werte muß gefestigt werden. Mehr und mehr wird bei uns persönliche Freiheit mit subjektiver Beliebtheit verwechselt. Zunehmende Brutalität, Verherrlichung und Anwendung von Gewalt sowie der Versuch, dem ungeborenen Leben den rechtlichen Schutz zu entziehen, sind unübersehbare Signale dafür, wieweit in unserer Gesellschaft ein durch subjektive Beliebtheit bestimmtes sozialschädigendes Verhalten fortgeschritten ist. Es ist besorgniserregend, daß der Staat seit einigen Jahren diesem sittlichen und rechtlichen Verfall immer weniger entgegenwirkt. So werden dem Deutschen Bundestag heute Entwürfe zur Reform des § 218 StGB vorgelegt, die dem menschlichen Leben in den ersten 3 Monaten jeglichen Rechtsschutz versagen (sogenannte Fristenlösung) oder die mit der Straffreigabe der Abtreibung bei ‚allgemeiner Notlage’, wie der Regierungsentwurf sie vorsieht, die Tötung menschlichen Lebens faktisch als Mittel zur Abwehr sozialer Härten verstehen. Das ZK hat zu diesen Fragen seine Auffassung unmißverständlich dargelegt und zu konstruktiver Hilfe aufgerufen.

Eigenverantwortliches Engagement darf nicht dirigistischen und versorgungsstaatlichen Entwicklungen geopfert werden, in den letzten Jahren verstärken sich Tendenzen, die Eingriffe des Staates in Wirtschaft und Gesellschaft auszuweiten und die Erfüllung öffentlicher Aufgaben durch freie gesellschaftliche Kräfte zu erschweren. [ . . . ]«

Der SPD-Pressedienst erklärte hierzu u. a.:

Diese Erklärung enthalte neben Erkenntnissen, denen man zustimmen könne, weithin einseitige Züge, die die Handschrift der CDU verrieten; in einigen Teilen sei sie reiner CU-Jargon und trage stellenweise eindeutig wahlpolitischen Charakter zugunsten der Unionsparteien; sie bringe kein Verständnis auf, ihr allgemein als notwendig anerkannte Reformen zugunsten benachteiligter Bevölkerungsschichten und lasse die Bereitschaft vermissen, mit anderen gesellschaftlichen und politischen Gruppen zusammenzuarbeiten, die eine Ordnung mit größerer Gerechtigkeit anstrebten.

[ . . . ]


Quelle: „ZK der Deutschen Katholiken warnt vor dirigistischen Entwicklungen im Zusammenhang mit Bundestagsneuwahl; Kritik von SPD und FDP“, Archiv der Gegenwart, Bd. 6, 31. August 1972, S. 5767ff.

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