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Auf dem Weg zur Europäischen Union (19. November 1981)

Der Entwurf einer Europäischen Akte, der hier dem Europäischen Parlament von Bundesaußenminister Hans-Dietrich Genscher vorgestellt wird, hat die Wiederbelebung und Ausweitung der europäischen Einigung zum Ziel. Genscher schlägt unter anderem eine engere Kooperation in Form einer Europäischen Union, eine verstärkte Rolle für Mehrheitsentscheidungen und eine Erweiterung der Zuständigkeiten des Europäischen Parlaments vor.

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Rede des Bundesministers des Auswärtigen, Genscher, vor dem Europäischen Parlament über die Fortentwicklung der EG am 19. November 1981


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Die Bundesregierung hat Ihre Initiative in Abstimmung mit der Regierung Italiens entwickelt. Der Entwurf für eine Europäische Akte ist als gemeinsamer deutsch-italienischer Vorschlag den Regierungen der anderen Mitgliedstaaten, der Präsidentin dieses Hohen Hauses und dem Präsidenten der Kommission der Europäischen Gemeinschaften zugegangen.

Wir hoffen, daß diese Initiative die aktive Unterstützung des Europäischen Parlaments findet, dem nach der Überzeugung der Bundesregierung bei der Entwicklung zur Europäischen Union eine zentrale Rolle zukommt. Ich bitte Sie deshalb um Ihre Unterstützung.

Die Europäische Gemeinschaft befindet sich heute in der wirtschaftlich schwierigsten Lage seit ihrer Gründung: Das reale Sozialprodukt sinkt in diesem Jahr um etwa 0,5 Prozent, die Inflation steigt auf etwa 11,5 Prozent, die Zahl der Arbeitslosen erreichte schon im Juli die 9-Millionen-Grenze und wächst weiter. Von den 9 Millionen Arbeitslosen sind 4 Millionen Jugendliche unter 25 Jahren. Im Außenhandel hatte die Gemeinschaft 1980 ein Defizit von fast 120 Milliarden DM. Gegenüber den industriellen Hauptkonkurrenten USA und Japan betrug das Defizit dabei 45 beziehungsweise 20 Milliarden DM. Unsere Länder – darüber kann kein Zweifel bestehen – können diese schwere wirtschaftliche Herausforderung nur gemeinsam bestehen.

Frau Präsidentin, bei den wirtschaftlichen Problemen, vor denen wir stehen, geht es um die wirtschaftlichen Fundamente unserer Demokratien ebenso wie der Europäischen Gemeinschaft.

Dennoch dürfen wir unsere Anstrengungen nicht allein auf die Wirtschaftsfragen konzentrieren. Wir müssen vielmehr den Blick auf das große Ziel der politischen Einigung Europas richten. Denn gerade aus diesem Ziel werden wir Kraft zu solidarischem Handeln schöpfen, werden wir die Kraft schöpfen zu Entscheidungen auch in Wirtschaftsfragen, die nicht Flickwerk bedeuten, sondern wirkliche vorwärtsweisende Lösungen, zu Entscheidungen also, die nicht im nationalen Egoismus steckenbleiben, von dem niemand frei ist, auch mein Land nicht, sondern dynamisch aus der Krise heraus und über sie hinweg führen.

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