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Itzig Behrend, Chronik einer jüdischen Familie in Hessen-Kassel, ca. 1800-1815 (Rückblick)

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Bei des Königs Ankunft haben ihn 16 hiesige Jungfrauen in weißer Kleidung mit grüner Besetzung ein Gedicht auf ein Tafte- oder Sammtkissen präsentirt, welche er hier gegen jeder mit ein paar goldene Ohringe und Halsschmuck beschenken, welche von Aron Escamp aus Hamburg in Nenndorf gekauft sind.

Uebrigens hat sich der König milde (leutselig) betragen gegen alle Menschen, hauptsächlich hat er 3 Chessanen und Kalles (Braut und Bräutigam) von die Gojim von Kopf bis Fuß mit Festkleidung bekleidet und dazu noch jedem Paar 300 Th. bar Geld als Mitgift gegeben, welche sich auch bei seinem Hiersein haben zusammen espulieren lassen müssen am Sonntag, hierbei war großer freier Ball für jeden, großes Feuerwerk, große Illumunation Pfehklettern, Wettrennen, Kanonenschießen, Freilotterie von allerlei Schaures (Waren), welche wir teils geliefert haben. Die Bräute und Bräutigam haben von mir und Gumpel (Großvater des Dichters Julius Rodenberg) circa für 300 Th. Waare erhalten. [ . . . ]

Das Jahr 1810 war eine stille geschäftslose Zeit und ich war daher viel zu Hause und auf das wenige Hausgeschäft angewiesen. Um nun auf andere Weise etwas zu verdienen, verschaffte ich mir das Amt der Steuernhebung der Gemeinde Grove Mühlenstr. und Rodenberger Thor. Die Gebühr für die monatliche Erhebung thut 37 gr. und für die Extraerhebung wird 2—3 gr. p. c. vergütet. [ . . . ]

Januar 1812 zogen hier wieder viele Franzosen, Holländer durch nach Danzig zu. Dieser Durchmarsch war bis Ende März, dero Zeit hatten wir jeden Tag Einquartierung bei 4—6 7—5—2—3 von allen Völkern und Sprachen, Schweizer, Koraten, Holländer, Franzosen, Italiener, Deutsche.

Januar 1813 ist diese Armee von Rußland retour gekommen, wie Schafe ohne Hirt, mechulle mit die Pulle.

Im Juli 1813 ist der Präsident des jüdischen Consistoriums, nämlich Israel Jacobsohn, mit Kutschen und Reitpferden nebst Bedienung nach Nenndorf gekommen. An einem Schabbos besuchte er die Schul meines Bruders Faibisch, da fungierte er selbst als Chasen und lernte auch, dann hielt er eine erbanliche Predigt. Den anderen Schabbes wollte er in Rodenberg die Schul besuchen, wurde durch schlechtes Wetter verhindert, da kam er Donnerstag vor seiner Abreise nach hier, hielt in Schul eine schöne Rede und sprach ein Dankgebet für seine von Gott in Nenndorf erlangte Gesundheit.

Wir mein Bruder Feibisch und Ahron und ich Itzig sandten ihm als den Präsidenten des israelitischen Consistoriums eine deutsche Schrift, in welcher wir ihm unsere Verehrung ausdrückten und unser Lehrer Herr Sußmann Cohn eine solche in hebräischer Sprache. Diese Adresse wurde ihm denn auf einem grün und gold gestickten Kissen überreicht und zwar von drei in weiß gekleideten jungen Mädchen, nämlich meine Tochter Marianne, meine Nichte Pesche (Betti), Tochter meines Bruders Feibisch und Nichte Caroline, Tochter meines Bruders Ahron, Caroline hielt eine angemessene Anrede. Unter ihnen befand sich auch mein Neffe Behrend, Sohn Ahrons, der eben Barmizwoh geworden, der seine Drosche vortrug. Unser Präsident war über alles dieses sehr gerührt, kurz darauf wurden die 4 Kinder auch von ihm beschenkt und zwar bekam Behrend eine silberne Medaille, Caroline ein hübsches Nähkissen, Marianne eine Reihe gelbe Perlen, Betti dito. Uebrigens hat er sich gegen Arme und Reiche freundlich und liebreich benommen. Den Armen hat er ansehnliche Geldgeschenke gemacht. Der Aufenthalt in Nenndorf hat ihn recht befriedigt und gab er am Tage seiner Abreise ein Tractament vielen Kurgästen, wozu auch einige Herrschaften von hier geladen waren. Das Essen hatte Zahn geliefert, an Wein und Musik hat es nicht gefehlt. Es hat ihm über 100 Th. gekostet, er hat während seiner Kurzeit sich von Gottschalk speisen lassen (koscher). [ . . . ]

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