GHDI logo

Briefwechsel zwischen Kaiserin Maria Theresia und ihrem Sohn Joseph II., österreichischem Mitregenten, zur religiösen Toleranz (1777)

Seite 3 von 3    Druckfassung    zurück zur Liste vorheriges Dokument      nächstes Dokument


Maria Theresia an Joseph
Ende Juli 1777

Ohne herrschende Religion? Die Toleranz, die Gleichgültigkeit, das sind gerade die wahren Mittel, Alles zu untergraben, auf daß nichts mehr sich halte; wir Anderen werden dann am schlimmsten dabei fahren. Nicht das Edict von Nantes ist es, welches jene Provinzen zu Grunde gerichtet hat; in Bordeaux gab es niemals ein solches Edict, und das Land ist darum nicht reicher. Jene unglücklichen Pachtungen sind es, die schlechte Verwaltung, die schwachen oder ränkesüchtigen Minister, die das Land ruinirten, welches eine so überaus günstige Lage besitzt, der Mangel an Religion bei jenen Beamten, die nur mit ihren eigenen Interessen oder Leidenschaften beschäftigt sind; dadurch wird Alles zu Grunde gerichtet. Welchen Zügel gibt es noch für diese Art von Leuten? Keinen, weder den Galgen noch das Rad, außer der Religion oder indem man grausam gegen sie wird, kein Menschenfreund, wie diese jetzt so gewöhnliche Phrase heißt, wobei Jeder seinen Gedanken sich überläßt. Ich sage nur in politischem Sinne, nicht als Christin: nichts ist so nothwendig und heilsam als die Religion. Willst Du zugeben, daß Jeder sich eine solche nach seiner eigenen Phantasie entwerfe? Keinen festgestellten Cultus, keine Unterordnung unter die Kirche, was soll dann aus uns werden? Die Ruhe, die Zufriedenheit werden nicht daraus hervorgehen, das Faustrecht und andere unglückliche Zeiten, wie man deren bereits gesehen, werden hieraus folgen. Eine solche Kundgebung von Deiner Seite kann das größte Unglück hervorrufen und Dich verantwortlich machen für viele tausende von Seelen. Was aber habe ich erst zu leiden, wenn ich Dich in so irrigen Meinungen befangen sehe? Es handelt sich nicht bloß um das Glück des Staates, um Deine Erhaltung, um die eines Sohnes, der seit seiner Geburt der einzige Zielpunkt meiner Handlungen ist; es handelt sich um das Heil Deiner Seele. Indem Du überallhin blickst und horchst, indem Du Deinen Geist des Widerspruches mit dem gleichzeitigen Bestreben vermengst, irgend Etwas zu schaffen, richtest Du Dich zu Grunde und ziehst zugleich mit Dir die Monarchie in den Abgrund, vernichtest das Resultat all der schweren Sorgen Deiner Vorfahren, die uns mit großer Mühe diese Provinzen hinterlassen und ihren Zustand gar sehr verbessert haben, indem sie, nicht gleich unseren Gegnern mit Kraft und mit Grausamkeit, sondern mit Sorgfalt, Mühe und Auslagen unsere heilige Religion daselbst einführten. Kein Geist der Verfolgung, aber noch weniger einer der Gleichgültigkeit oder des Tolerantismus; hieran hoffe ich mich zu halten so lange ich lebe, und ich wünsche nur so lang zu leben, als ich hoffen darf, mit dem Troste hinabzusteigen zu meinen Ahnen, daß mein Sohn so groß, so religiös sein wird wie seine Vorfahren, daß er zurückkehren wird von seinen irrigen Anschauungen, von jenen schlechten Büchern, deren Verfasser ihren Geist glänzen lassen auf Kosten alles dessen, was das heiligste und das verehrungswürdigste auf der Welt ist, welche eine eingebildete Freiheit einführen wollen, die niemals zu existiren vermag, und die in Zügellosigkeit umschlägt und in gänzlichen Umsturz.



Quelle der deutschen Übersetzung: Alfred Ritter von Arneth, Maria Theresia’s letzte Regierungszeit 1763-1780. Wien: Wilhelm Braumüller, 1879, S. 138-45.

Quelle des französischen Originals: Alfred von Arneth, Maria Theresia und Joseph II. Ihre Correspondenz, Bd. II. Wien, 1867-68, S. 140ff. [Der Text erscheint hier im französischen Original.]

erste Seite < vorherige Seite   |   nächste Seite > letzte Seite