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Briefwechsel zwischen Kaiserin Maria Theresia und ihrem Sohn Joseph II., österreichischem Mitregenten, zur religiösen Toleranz (1777)

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Joseph an Maria Theresia
19. Juni 1777

[ . . . ] politisch gesprochen sei der Unterschied der Religionsbekenntnisse in einem Staate nur dann ein Uebel, wenn Fanatismus, Zwiespalt und Parteigeist daraus hervorgingen. Er falle von selbst hinweg, wenn man die Anhänger der einen wie der anderen Confession vollständig gleich behandle, und wenn man demjenigen, der allein die Herzen regiere, das Uebrige anheimstelle.



Joseph an Maria Theresia
Ende Juni 1777

[ . . . ] Ohne sich zu dieser Methode zu bequemen wird man nicht mehr Seelen erretten, hingegen weit mehr nützliche und nothwendige Körper verlieren. Die Dinge nur halb thun, stimmt nicht zu meinen Prinzipien; man bedarf entweder einer völligen Freiheit des Cultus, oder Sie müssen Alle aus Ihren Ländern vertreiben können, die nicht dasselbe glauben wie Sie, und die nicht die gleiche Form annehmen, um den gleichen Gott anzubeten und dem gleichen Nächsten zu dienen. Wenn man aber, auf daß ihre Seelen nach dem Tode nicht verdammt werden, vortreffliche Arbeiter und gute Unterthanen während der Zeit ihres Lebens vertreibt und sich dadurch aller Vortheile beraubt, die man von ihnen zu ziehen vermöchte, welche Macht maßt man sich dadurch an? Kann man sie so weit ausdehnen, daß man über die göttliche Barmherzigkeit urtheilen, die Menschen gegen ihren Willen erretten, ihrem Gewissen befehlen will? So lang der Dienst des Staates besorgt, das Gesetz der Natur und der Gesellschaft beobachtet wird, so lang Euer höchstes Wesen nicht entehrt, sondern respectirt und angebetet wird, was habt. Ihr zeitliche Verwalter Euch in andere Dinge zu mischen? Der heilige Geist soll die Herzen erleuchten; Eure Gesetze werden nie etwas anderes erreichen, als seine Wirkungen zu schwächen. Das ist meine Gesinnung; Eure Majestät kennen sie, und ich besorge, daß meine vollständige Ueberzeugung mich mein ganzes Leben hindurch hindern wird, sie zu ändern.

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