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Georg Wedekind, „Anrede an seine Mitbürger”, gehalten in der Gesellschaft der Volksfreunde zu Mainz (27. Oktober 1792)

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Hier bemerke ich gleich folgende große Fehler in unserer Verfassung.

Jede Regierung ist fehlerhaft, welcher ein Regent vorsteht, das heißt, alle Monarchien taugen nichts.

Die Beweise sind:

1. Ein einzelner Mensch ist an sich zur Führung einer Regierung untauglich, weil er allen den Schicksalen unterworfen ist, welche einzelne Menschen treffen können. Der Regent kann also krank, er kann ein Narr werden, er kann aus einem Betbruder in einen Wollüstling und Verschwender ausarten, er kann zu alt, er kann zu jung sein und so weiter. Da ist denn der Staat übel daran. Ein Beispiel habt Ihr an Friedrich Karl Joseph Erthal. Im Anfang seiner Regierung machte er den Betbruder, und hernach wurde aus ihm ein Wollüstling und ein Verschwender. Mehrere Jahre hindurch litt er an der Hypochondrie, und das hatte die traurige Folge, daß alles in Verwirrung geriet. Leute, die Räuber waren, plünderten das Land, und die Intrige hatte die Herrschaft.

2. Ein einzelner Mann kann nicht alle Kenntnisse besitzen, welche zu einer Regierung, die doch das Beste so verschiedener und auf so mancherlei Art ihr Gewerbe treibender Menschen bezwecken soll, erfodert werden, denn es ist unmöglich, daß ein einzelner Mensch das verschiedene Interesse von so vielen Tausenden von Untertanen beurteilen könne. – Ihr seht das leicht ein – »Aber« (werdet Ihr sagen) »dafür hat jeder Fürst seine Räte, die müssen die Sache verstehen.« Gut; indessen, wenn die Räte die Regierung führen sollen, so ist ja der Fürst überflüssig.

3. Ein jeder Fürst ist ein Mensch wie andre Leute. Nun hat jeder Mensch seinen Privatehrgeiz und sein Privatinteresse überhaupt, welches sehr oft dem Interesse der Untertanen ganz entgegen ist. Zum Beispiel dient folgendes: Es war gewiß nicht das Interesse der Mainzer, daß der Kurfürst sich mit den Aristokraten so eng einließ, daß er mit ihnen schwelgte, daß er alle anderen großen Herren gegen sie aufzuhetzen suchte, daß er 2000 seiner braven Untertanen nach Speyer auf die Schlachtbank und in die Gefangenschaft schickte. Bloß seine Eitelkeit war an allen dem schuld. Er wollte den großen Herrn spielen, er wollte sich zum Beschützer des ehemaligen Königs von Frankreich, der ehemaligen Prinzen und des ehemaligen französischen Adels aufwerfen. Das schmeichelte seiner Ehrsucht. Die französischen Damen taten so gut das Ihrige wie die halbfranzösische Frau von Coudenhoven. So vergaß er, durch seine Eitelkeit geblendet, das Wohl seiner Untertanen. Überhaupt lag ihm immer die Erzkanzlerwürde bei dem sogenannten Deutschen Reiche mehr am Herzen wie die Regierung seines Landes, weil sie mehr seiner Ruhmsucht schmeichelte. Statt sich mit so viel Gesandtschaften abzugeben, hätte er die Hütten seiner elenden Untertanen im Eichsfeld und im Spessart besuchen sollen. Alle die hohen Händel, die er als Erzkanzler gehabt hat, brachten seinen Untertanen keinen Vorteil, wohl aber Schulden. War es nicht eben auch seine Eitelkeit, daß er beinah alle seine Soldaten ins Lüttichsche sandte, um ein von einem schlechten Fürsten gedrücktes Volk, dessen Sache doch so gerecht war, in Sklaverei zurückzubringen?

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