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Kategorien ländlicher Arbeiter am Ende des neunzehnten Jahrhunderts

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Die Wanderarbeiter erhalten neben dem Geldlohne gewöhnlich Handgeld, freie Reise und Wohnung, Heizung und 25 Pfd. Kartoffeln pro Person und Woche geliefert. Die Köchin wird meist den Leuten von der Herrschaft gestellt. Es ist gewöhnlich die Frau des Vorschnitters, wenn nicht das Mißtrauen der Leute diese oder eine ähnliche wirtschaftlich zweckmäßige Organisation zur Befriedigung ihrer Bedürfnisse unmöglich macht. Der Lohn ist nach Gegend und örtlichen Verhältnissen verschieden. [ . . . ] Im allgemeinen wird es den thatsächlichen Verhältnissen entsprechen, wenn wir [ . . . ] den Verdienst der Mädchen und Frauen auf 370-420 M. und den der Männer auf 495-580 M. schätzen. Jeder Wanderarbeiter erspart davon in einem Sommer mindestens 150 M., doch giebt es auch Leute, die bei einem Tagelohne von nur 1 M. 210 M. und mehr für den Winter zurücklegen. [ . . . ]

Trotz der für Preußen erlassenen Vorschriften finden wir auch hier noch die ledigen Leute oft in gemeinschaftlichen Wohn- und Schlafräumen im Schnitterhause vereinigt, und in sehr vielen anderen deutschen Staaten ist das noch fast allgemein der Fall. [ . . . ]

Überall, wo große Scharen Wanderarbeiter den Sommer über liegen, kann man beobachten, wie niedrig diese Leute in ihren sittlichen Begriffen stehen. Oft täuschen sich auch die Sachsengänger über die Herabdrückung ihrer Lebenslage während der Sommerszeit hinweg. Denn um tüchtig zu sparen ist ihre Beköstigung, namentlich wenn sie selbst dafür sorgen, oft völlig unzulänglich. Bei der unregelmäßigen Lebensweise liegt die Versuchung zum Trunke sehr nahe. Wie leicht aber nicht nur die polnischen und russischen Wanderarbeiter dieser Versuchung erliegen, das kann man bei beiden Geschlechtern an jedem arbeitsfreien Tage beobachten. Nichts aber zerstört die sittliche Kraft eines Menschen mehr als Konkubinat und übermäßiger Alkoholgenuß.



Quelle: Ernst Fiedler, Die Arbeiterfrage auf dem Lande und Vorschläge zur Reform des ländlichen Arbeiterwesens. Leipzig, 1898. S. 19-25, 37-41.

Abgedruckt in Gerhard A. Ritter und Jürgen Kocka, Hg., Deutsche Sozialgeschichte 1870-1914. Dokumente und Skizzen, 3. Aufl. München: C.H. Beck, 1982, S. 192-95.

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