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Franz Hessel, „Ich wähle 'Käse'" (1920er Jahre)

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Nun gleiten wir an der langen Front der Bibliothek entlang auf der Sonnenseite. Hinter Markisen eleganter Läden lockt Seidenes, Ledernes, Metallenes. Die Spitzengardinen vor Hiller erwecken ferne Erinnerungen an gute Stunden, an fast vergessenen Duft von Hummer und Chablis, an den alten Portier, der so diskret zu den Cabinets particuliers zu leiten wußte. Ich reiße mich los — bin doch Fremder –, um gleich wieder eingefangen zu sein. Reisebüros, Schaufensterrausch aus Weltkarten und Globen, Zauber der grünen Heftchen mit den roten Zetteln, verführerische Namen fremder Städte. Ach, all die seligen Abfahrten von Berlin! Wie herzlos hat man doch immer wieder die geliebte Stadt verlassen.

Aber nun aufgepaßt. Wir biegen in die Wilhelmstraße ein. Unser Führer verkündet in seltsam amerikanisch klingendem Deutsch: Hier kommen wir in die Regierungsstraße Deutschlands. Still ist es, fast wie in einer Privatstraße. Und altertümlich einladend stehen vor der diskreten gelbgetünchten Fassade, hinter der Deutschlands Außenpolitik gemacht wird, zwei großscheibige Laternen. Was für ein sanftes Öllicht mag darin gebrannt haben zur Zeit, als sie zeitgenössisch waren?

Eines dieser braunen Eingangstore, die mit geschnitztem Laubwerk geziert sind, führte einstmals in die Wohnung der gefeierten Tänzerin Barberina zu einer Zeit, als sie nicht mehr tanzte und eine Freiin Barbara von Cocceji geworden war. Und über ein Jahrhundert später, von 1862 bis 1878, hat Bismarck hier gewohnt. Da war das kleine Arbeitszimmer mit den dunkelgrünen Fenstervorhängen und dem geblümten Teppich und daneben der Speisesaal, in dem die Emser Depesche verfaßt worden ist. Später zog er dann ins Palais Radziwill, wo auch heute noch der Reichskanzler wohnt, friedlich hinter einem Gartenhof wie ein paar Häuser vorher der Reichspräsident.

Aber unser Führer erlaubt nicht, in diesen Frieden zu versinken, er reißt den Blick zu dem mächtigen Gebäudekomplex gegenüber hin und ruft selbst verwundert: „Alles Justiz!“ „Und hier“, fährt er fort, „vom Keller bis zum Dach mit Gold gefüllt, das Finanzministerium.“ Das ist ein Witz, über den nur richtigen Fremden lachen können. Ich tröste mich an der schönen Weite des Wilhelmsplatzes, an des Kaiserhofs flatternden Fahnen, an dem grünen Gerank um die Pergolasparren des Untergrundbahneingangs und an General Zietens gebeugtem Husarenrücken.

Ein Gewirr von Türmen, Buckeln, Zinnen und Drähten: „Leipziger Straße, die größte Geschäftsstraße der Metropole!“ Aber die durchkreuzen wir einstweilen nur. Wir fahren die Wilhelmstraße weiter, vorbei an vielen Antiquitätenläden, vorbei am Architektenhaus. Das Palais des Prinzen Heinrich, vor dem wir einen Augenblick halten, um durch die schöne Säulenhalle auf den alten Hof und die alten Fenster zu sehn, und seine schlichten, mit dienender Tugend sich anschließenden Gebäude haben die hellbräunliche Farbe, die dem Dichter Laforgue an vielen Berliner Palais auffiel, als er in den achtziger Jahren des vorigen Jahrhunderts als Vorleser der Kaiserin in Berlin war, er nennt sie couleur café au lait, und sie erscheint ihm als der vorherrschende Farbton der Kapitale. Für die Welt der Wilhelmstraße und viele Teile der älteren Stadt gilt das noch heut.

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