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Verhandlungen des Reichstags über den Versailler Vertrag (Juni 1919)

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Es ist ja etwas geradezu Unerhörtes in der Geschichte, daß man einen Friedensvertrag abschließen will, dessen Inhalt man in parlamentarisch regierten Ländern vor dem eigenen Volk, vor den eigenen Parlamenten verheimlicht. Darin liegt das Anerkenntnis des Gefühls der eigenen Schuld, des bösen Gewissens bei unseren Feinden.

(Lebhafte Zustimmung rechts.)

Wenn wir diesen Vertrag ablehnen, so stehen wir nur auf dem Standpunkt der letzten eben abgetretenen Regierung. In den Gegenvorschlägen dieser Regierung ist da ja Seite für Seite schlagend nachgewiesen, daß dieser Vertrag für uns unannehmbar, unerträglich, unerfüllbar ist.

(Sehr richtig! rechts.)

Was aber auf unsere Gegenvorschläge an diesem Vertrag geändert worden ist, wiegt federleicht. Also wenn die letzte Regierung jetzt noch im Amte wäre, so müßte sie selbst die Ablehnung dieses Vertrags empfehlen; es sind ja aber verschiedene Minister der früheren Regierung in die gegenwärtige Regierung übergetreten.

Man warnt uns vor den fürchterlichen Folgen, die eintreten werden, wenn wir diesen Vertrag ablehnen! Gewiß, in solchen Entscheidungsstunden eines Volks muß man auch schweren Folgen entgegensehen. Moltke hat einmal gesagt: „Im Kriege ist alles gefährlich“. Und wir sind eben noch im Kriege. Glaubt man denn, daß in Zukunft unsere Feinde gegebenen Falles nicht dieselben Zwangsmittel wie jetzt bei Ablehnung des Vertrags gegen uns anwenden werden? Es hat keinen Zweck, einen Vertrag, der paraphiert ist, unter Protest zu unterschreiben. Wenn man seine Unterschrift darunter setzt, bekennt man sich vor der Welt zu dem Inhalt des Vertrags; auf die Nebeneinrede eines mündlichen oder schriftlichen Protestes werden unsere Feinde nicht mehr den geringsten Wert legen. Die Regierung hat selbst erklärt, dieser Vertrag sei unerträglich und unerfüllbar, und da wir den Vertrag nicht erfüllen können, werden in Zukunft die feindlichen Regierungen dann dieselben Maßregeln gegen uns ergreifen, die sie uns jetzt androhen.

(Sehr richtig! rechts.)

Man droht uns auch, die Blockade fortzusetzen. England hat die ganze Welt in Empörung gesetzt wegen der Versenkung der „Lusitania“, obgleich die Schiffahrtslinie gewarnt war, sich in unser Seeschlachtgebiet, in unser Minenfeld zu begeben. England aber verhängt über Deutschland eine Blockade, infolge deren Hunderttausende von Menschen bereits ihr Leben verloren haben, und infolge deren ebenso Hunderttausende von Kindern einem elenden Siechtum entgegensehen oder an Unterernährung verstorben sind. Von diesem englischen Massenmorde spricht man nicht; ich hoffe, daß sich englische Seeleute zu diesem Henkersdienste nicht länger hergeben werden.

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