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Bericht des Neuen Deutschland über eine Diskussion zum Thema Realismus und Formalismus in der Fachschule für angewandte Kunst in Magdeburg (24. April 1951)

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Eine lebhafte Diskussion gab es über einige Entwürfe der Glasmalerei. »Welches Thema wurde dem Schüler für die Gestaltung dieses Fensters gestellt?« fragte man zum Beispiel. Der Lehrer erklärte, daß kein Thema gestellt war, da der Schüler erst lernen müsse, die Form und das Material zu beherrschen, ehe er an die Gestaltung eines Themas gehen könne. Mit der Entwicklung der künstlerischen Fertigkeit solle der Schüler auf einer bestimmten Entwicklungsstufe dann von selbst zur Gestaltung eines Themas zum Realismus kommen.

Hier ist einmal die falsche Auffassung, daß die Gestaltung vom Inhalt her allein schon den Realismus verbürge, zum anderen glaubt man, daß der Realismus aus der handwerklichen Beherrschung des Materials und der Form »von selbst« entstehen werde. Aber die künstlerische Gestaltung, die Gestaltung des Charakteristischen, kann nicht erst auf einer bestimmten Ausbildungsstufe beginnen, sie muß vom ersten Tage an geübt werden. Realistische Kunstwerke entstehen aus dem tiefen Verständnis der Wirklichkeit, aus der Erkenntnis der wirkenden Gesetze und Kräfte in Natur und Gesellschaft.

Im Rahmen einer Besprechung künstlerischer Bucheinbände wurde die Gestaltung einer Sammelmappe von Stalin-Dokumenten diskutiert. Die Vorderseite war von unten bis zur Mitte rot, die obere Hälfte war schwarz ausgeführt. Die Grenze zwischen rot und schwarz war nicht gerade, sondern verlief am Rande des in dünner Goldschrift ausgeführten Namens Stalin. Dieser Entwurf wurde allgemein abgelehnt.

Was hatte sich der Gestalter gedacht? Das Rote sollte die Auffassung Stalins symbolisieren, ihm steht das Schwarze, das gegnerische Lager, gegenüber. Ein typisches Beispiel formalistischer Gestaltung. Die Zusammenfassung des Weltfriedenslagers, in dem Kräfte aller Weltanschauungen unter einer Farbe vertreten sind, würde bei einer richtigen Wiedergabe nur noch einen schmalen schwarzen Streifen übriglassen. Die mechanische Übertragung gesellschaftlicher und politischer Gegensätze in Farben enthält überhaupt ein gefährliches Moment der Vulgarisierung und geht in dem angeführten Beispiel an dem vorbei, was gestaltet werden sollte. In der Mappe sollen Dokumente, Bilder und anderes wertvolles Material über den Führer des Weltfriedenslagers, Stalin, aufbewahrt werden. Ein Redner führte dazu richtig aus, daß man Stalin kennen und lieben muß, wenn man die gestellte Aufgabe künstlerisch lösen will.

Diese Diskussion zeigte die dringende Notwendigkeit, sowohl Lehrer als auch Schüler mit dem Wesen der realistischen Kunst vertraut zu machen. Die Aufgeschlossenheit und Dankbarkeit für die helfende Kritik verdecken aber keineswegs die erstaunliche Unkenntnis über elementare Fragen auf dem eigenen Tätigkeitsgebiet und die Unbekümmertheit, mit der man bisher arbeitete. Die Diskussion muß noch breiter entfaltet und fortgeführt werden. Künstlerische Talente sind vorhanden; sie zu Helfern unseres Friedenskampfes und an unserem Aufbau zu entwickeln, ist eine notwendige Aufgabe.



Quelle: „Wer zum Zeichenstift greift, muß ein politischer Mensch werden“, Neues Deutschland, Nr. 95, 25. April 1951. Mit freundlicher Genehmigung der Neues Deutschland Druckerei und Verlag GmbH Berlin; abgedruckt in E. Schubbe, Hg., Dokumente zur Kunst-, Literatur- und Kulturpolitik der SED. Stuttgart: Seewald Verlag, 1972, S. 193-94.

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