GHDI logo

Stefan Heymann, „Kosmopolitismus und Formalismus” (1. Dezember 1949)

Seite 2 von 4    Druckfassung    zurück zur Liste vorheriges Dokument      nächstes Dokument


Die Rolle der Auftraggeber

Jeder schöpferisch tätige Mensch, gleichgültig, auf welchem Gebiet er arbeitet, schafft seine Werke nicht zur Selbstbefriedigung, sondern will bestimmte Wirkungen erzielen. Er stellt sich dabei, bewußt oder unbewußt, die Menschen vor, auf die er einwirken möchte. Hierin liegt der erste fundamentale Unterschied zwischen Dichtkunst und Musik einerseits und bildender Kunst andererseits. Dichter und Komponisten schaffen stets für eine große Schar von Lesern und Zuhörern. Um wirken zu können, müssen sie daher nicht nur mit dem Leben des Volkes vertraut sein, sie müssen auch solche Ausdrucksformen finden, die ihnen den Weg zum Mitmenschen öffnen. Der Hinweis auf fürstliche Auftraggeber für unsere Komponisten in der Zeit des Absolutismus ist kein Gegenargument, da ja auch diese Werke für mehr oder weniger öffentliche Aufführungen gedacht waren.

Der bildende Künstler dagegen schafft – mindestens seit der Periode des entwickelten Kapitalismus – für den privaten Auftraggeber. Der öffentliche Auftrag ist die seltene Ausnahme. Kein Wunder also, daß sich aus dieser Einstellung eine Volksfremdheit entwickeln mußte, die ständig anwuchs, als der Gegensatz zwischen den monopolistischen Auftraggebern und dem eigenen Volk sich vertiefte.

Deshalb hat die kulturelle Zersetzung im Zeitalter des Imperialismus auf keinem Gebiet so krasse Formen angenommen wie in der bildenden Kunst. Es würde hier zu weit führen, wollte man den persönlichen Glauben vieler Künstler, durch die Entwicklung eines neuen »Ismus« eine revolutionäre Tat gegen eine muffige Tradition zu vollbringen, im einzelnen analysieren. Schon die Tatsache, daß alle diese Versuche nicht aus einer volkstümlichen Bewegung entstanden, sondern schemenhafte Ateliergebilde waren (und leider vielfach noch sind) beweist, daß es sich in keinem Fall um eine wirklich revolutionäre Erneuerung der bildenden Kunst gehandelt hat. Der tiefe Zerfall der bildenden Kunst hängt eng mit den besitzbürgerlichen Auftraggebern zusammen.

Die klassisch-nationale Tradition

Das Goethe-Jahr 1949 hat wesentlich dazu beigetragen, die klassische nationale Tradition der deutschen Dichtkunst in unserem Volke populär zu machen. Unseren Schriftstellern sind die fortschrittlichen Traditionen der deutschen Dichtkunst bewußt geworden, und sie vermögen, diese Traditionen entsprechend den neuen Aufgaben sich anzueignen und neu zu gestalten. Ähnlich klare Verhältnisse, wenn auch noch nicht so deutlich sichtbar, herrschen auf dem Gebiet der Musik. Die großen Klassiker unserer Tonkunst: Händel, Bach, Haydn, Mozart und Beethoven (um nur einige wenige zu nennen) sind unbestritten und auch heute noch die großen Vorbilder unserer fortschrittlichen Komponisten.

Wie steht es aber mit der fortschrittlichen nationalen Tradition auf dem Gebiet der bildenden Kunst? Haben wir hier schon dieselben feststehenden Grundsätze der Klassik wie in Dichtung und Musik? Beginnt und endet die klassische Tradition der deutschen Malerei und Bildhauerei mit den großen Künstlern im Zeitalter der Reformation? Sind Dürer, Grünewald, Holbein, Cranach, Riemenschneider und ihre großen Zeitgenossen die einzigen Vertreter der klassischen Vollkommenheit in der bildenden Kunst Deutschlands? Man braucht sich nur einmal zu vergegenwärtigen, welche wechselvolle, ja sogar widersprechende Einstellung zu einem der größten deutschen Maler, zu Matthias Grünewald, in der deutschen Kunstgeschichte der letzten Jahrzehnte zutage trat, um sofort zu erkennen, daß noch kaum feste Begriffe vorhanden sind.

Aber wie wollen wir eine fortschrittliche deutsche Kunst entwickeln, wenn sie nicht an die fortschrittlichen Traditionen unseres Volkes anzuknüpfen und sie weiterzuentwickeln vermag? Es ist daher zweifellos eine der wichtigsten Aufgaben aller fortschrittlichen Künstler und Kunsthistoriker, die großen klassischen, nationalen Traditionen auf dem Gebiet der bildenden Kunst genauso ins Bewußtsein des ganzen Volkes zu rufen, wie es in Musik und Dichtung bereits geschehen ist. Die Aneignung und Weiterentwicklung der klassischen fortschrittlichen Traditionen auf dem Gebiet der bildenden Kunst ist eine unabdingbare Voraussetzung für die Entwicklung einer wahrhaft nationalen, fortschrittlichen Kunst.

erste Seite < vorherige Seite   |   nächste Seite > letzte Seite