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Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts über die Gültigkeit des § 175 (1957)

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Auch für das Gebiet der Homosexualität rechtfertigen biologische Verschiedenheiten eine unterschiedliche Behandlung der Geschlechter. [ . . . ]

Mann und Frau können als verschiedene Geschlechtswesen auch die gleichgeschlechtliche Unzucht nur in den ihrem Geschlecht möglichen und eigenen Formen ausüben. Diese besondere Geschlechtsprägung der gleichgeschlechtlichen Unzucht tritt wie in der Verschiedenartigkeit der körperlichen Begehungsformen so auch in dem verschiedenartigen psychischen Verhalten bei diesen Vorgängen zutage und bestimmt von diesen biologischen Verschiedenheiten her deutlich das gesamte Sozialbild dieser Form sexueller Betätigung.

Die Beweisaufnahme hat dies zur vollen Überzeugung des Gerichts geklärt. Sie hat zunächst ergeben, daß die Verbreitung der weiblichen Homosexualität hinter der der männlichen erheblich zurückbleibt. [ . . . ]

Wie der Sachverständige Giese dargelegt hat, müssen bei der Sexualität zwei Aspekte unterschieden werden: ein generativ-vegetativer, d.h. ein Aspekt auf das unbewusste Funktionieren des Körpers im Zusammenhang mit der Geschlechtlichkeit, und ein davon geprägter sozialer Aspekt. Schon die körperliche Bildung der Geschlechtsorgane weist für den Mann auf eine mehr drängende und fordernde, für die Frau auf eine mehr hinnehmende und zur Hingabe bereite Funktion hin. Dieser Unterschied der physiologischen Funktion lässt sich aus dem Zusammenhang des geschlechtlichen Seins nicht ausgliedern, er ist mit konstituierend für Mann und Frau als Geschlechtswesen (Kroh). Der entscheidende Unterschied zwischen Mann und Frau – der alle übrigen Unterschiede im Keim in sich schließt – ist aber unter dem generativ-vegetativen Aspekt die Tatsache, dass sich das Vatersein an den kurzen Zeugungsvorgang nicht über weitere generativ-vegetative Leistungen, sondern nur durch zeitlich davon getrennte soziale Leistungen anschließt, während die sozialen Leistungen des Mutterseins mit dem Vorgang des Empfangens über die generativ-vegetativen Leistungen der Schwangerschaft, der Geburt und des Stillens, also durch einen langdauernden natürlichen Prozess, unmittelbar verknüpft sind. Anders als der Mann wird die Frau unwillkürlich schon durch ihren Körper daran erinnert, dass das Sexualleben mit Lasten verbunden ist. Damit mag es zusammenhängen, dass bei der Frau körperliche Begierde (Sexualität) und zärtliche Empfindungsfähigkeit (Erotik) fast immer miteinander verschmolzen sind, während beim Manne, und zwar gerade beim Homosexuellen, beide Komponenten vielfach getrennt bleiben (Wiethold-Hallermann). Die Gefahr einer Akzentverschiebung zu Lasten der Bereitschaft, Verantwortung zu übernehmen, und zugunsten des bloßen Lustgewinnes ist daher eine besondere Gefahr der männlichen Sexualität. [ . . . ]

Diese Verschiedenheiten des Geschlechtslebens machen sich bei der Gleichgeschlechtlichkeit womöglich noch stärker geltend als bei heterosexuellen Beziehungen, da der auf Mutterschaft angelegte Organismus der Frau unwillkürlich den Weg weist, auch dann in einem übertragenen sozialen Sinne fraulich-mütterlich zu wirken, wenn sie biologisch nicht Mutter ist, während eine entsprechende Kompensation beim Manne fehlt. So gelingt der lesbisch veranlagten Frau das Durchhalten sexueller Abstinenz leichter, während der homosexuelle Mann dazu neigt, einem hemmungslosen Sexualbedürfnis zu verfallen (Giese; ähnlich Grassberger und Scheuner).

Für die Verschiedenheit männlicher und weiblicher Homosexualität spielt es ferner eine Rolle, dass die Anfälligkeit gegen Verführung der zum gleichgeschlechtlichen Verkehr Aufgeforderten in der Pubertät je nach dem Geschlecht verschieden ist. Alle Sachverständigen stimmen darin überein, dass es in der Pubertät eine Phase der Zielunsicherheit des Geschlechtstriebes gibt, und dass die in dieser Periode empfangenen Eindrücke von entscheidender Bedeutung für die Prägung der Persönlichkeit des Heranwachsenden sein können. Eine homosexuelle Verführung in dieser Altersstufe ist besonders geeignet, zu Fehlprägungen des sexuellen Empfindens zu führen, wobei offen bleiben kann, ob diese Gefahr nur da besteht, wo de Veranlagung des Verführten ihre Verwirklichung begünstigt. Die Gefahr solcher Fehlprägung ist aber bei Mädchen weit geringer als bei männlichen Jugendlichen. Diese allgemeine Erfahrung wird von den Sachverständigen zum Teil darauf zurückgeführt, dass das Mädchen weit mehr als der Knabe durch ein natürliches Gefühl für sexuelle Ordnung bewahrt werde, zum Teil darauf, dass die Mädchen altersmäßig früher auf heterosexuelle Beziehungen fixiert seien (Scheuner, Wiethold-Hallermann).

Weiterhin lehrt die Erfahrung, dass die Lesbierin nicht in dem gleichen Maße ausschließlich gleichgeschlechtlich eingestellt ist wie der homosexuelle Mann, so dass für die Lesbierin der „Umschlag zum anderen Geschlecht“ (Scheuner) leichter möglich ist (ebenso Grassberger, Wenzky, Kroh).

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